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Geberländer zum 100-Milliarden-Versprechen: Kommt jetzt die kreative Buchführung?

Was sind die $100 Milliarden wert? Foto: Krackhardt, Brot für die Welt

Seit die reichen Länder auf dem enttäuschenden UN-Klimagipfel von Kopenhagen versprochen hatten, bis 2020 die finanzielle Unterstützung für die armen Länder auf 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr anzuheben, haben sie sich konsequent geweigert, einen Fahrplan vorzulegen, wie das Versprechen erfüllt werden soll.

Das scheint sich nun geändert zu haben. Inzwischen haben die Industrieländer begriffen, dass es für einen erfolgreichen Abschluss der laufenden Verhandlungen um ein neues Abkommen gegen den Klimawandel nicht nur unerlässlich ist, dass sie bis Paris zeigen, welche Fortschritte sie bei der Erfüllung des Versprechens bisher gemacht haben. Auch müssen sie einen glaubhaften Fahrplan vorlegen, wie die Finanzierung über die verschiedenen Kanäle und Instrumente weiter anwachsen wird. Dazu gehört insbesondere Auskunft darüber, wie die öffentlichen Mittel der Geberländer bis 2020 steigen werden.

Als erste Antwort auf diese Herausforderung haben sich die Geberländer nun auf ein offizielles Statement geeinigt, was und wie gezählt werden soll. Wie ist das Statement zu bewerten?

Zunächst einmal ist es willkommen, dass es dieses Statement überhaupt gibt, einschließlich der darin geäußerten Absicht, die Zählung der Mittel und die Berichterstattung weiter zu harmonisieren. Beiträge der einzelnen Länder wären damit auch leichter zu vergleichen. Allerdings ist es eine Sache, wenn sich Geberländer Regeln für die Zählweise für das 100-Milliarden-Versprechen geben. Eine ganz andere ist es, dafür die Zustimmung der Empfängerländer zu gewinnen – dafür müssen die mit am Tisch sitzen, damit der so dringend nötige 100-Milliarden-Fahrplan gemeinsam beschlossen werden kann.

Das Vorhaben der Geber, transparent über die verschiedenen Arten der Klimafinanzierung zu berichten, dürfte nicht nur insgesamt die Qualität der Berichterstattung transparenter machen. Auch wäre es dann einfacher möglich, problematische Bereiche der Klimafinanzierung zu thematisieren, etwa wo Exportkredite angerechnet werden, deren Zweck darin besteht, Exporte von Unternehmen der Industrieländer zu fördern. Sie mobilisieren in der Regel keine neuen Mittel, sondern entscheiden eher darüber, wer etwa eine Ausschreibung in einem Entwicklungs- oder Schwellenland gewinnt.

In ihrem Statement verpflichten sich die Geberländer, jeden Dollar nur einmal zu zählen – das sollte selbstverständlich sein, aber die unausgereifte Methodik führt oft zu Doppelzählung, etwa wenn Geber miteinander oder mit den multilateralen Entwicklungsbanken in Projekten kooperieren. Auch soll zukünftig der tatsächliche Klima-Fokus stärker berücksichtigt werden. Das ist sehr sinnvoll, denn oft wird schon als Klimafinanzierung bezeichnet, was in Wahrheit nur ein Projekt „klima-sicher“ macht, d.h. es also so zu planen, dass es nicht gleich bei der nächsten Flut wieder weggespült wird. Das zu tun ist sehr vernünftig, ist aber nicht Klimafinanzierung, sondern eine Frage des nachhaltigen Ausgebens knapper Gelder. Zudem gibt es viele Fälle, in denen die Klima-Relevanz mehr oder minder ausgeprägt ist. Unsere Untersuchung der Klimafinanzierung aus Deutschland hat beispielsweise ergeben, dass etwa ein Viertel der Beschreibungen deutscher Klimaschutzprojekte im Ausland nicht darauf schließen lassen, dass es tatsächlich um Klima geht (allerdings wissen wir auch, dass das oft an fehlender Transparenz bei GIZ und KfW liegen könnte). In jedem Falle besteht die Gefahr der Überschätzung der tatsächlichen Klimahilfen durch eine großzügige Auslegung der „Klima-Relevanz“ finanzierter Projekte.

In ihrem Statement erklären die Industrieländer, dass sie sich in der Frage der Klima-Relevanz auch auf die von den multilateralen Entwicklungsbanken beschlossenen Kriterien beziehen wollen – dort aber sind auch Projekte für Effizienzmaßnahmen von Kohlekraftwerken bzw. zur ihrer Ertüchtigung gelistet. Investitionen, die letztlich die weitere Abhängigkeit von fossilen Energien zementieren, können damit als Klimafinanzierung geltend gemacht werden. Der fünfte Sachstandsbericht des UN-Wissenschaftsgremiums hingegen kommt zu dem Schluss, dass bis Mitte des Jahrhunderts die Emissionen aus dem Stromsektor weltweit mehr oder weniger auf null sinken müssen, um die globale Erwärmung auf unter 2°C zu begrenzen. Maßnahmen, die etwa die Lebenszeit von Kohlekraftwerken verlängern, sind damit nicht zu vereinbaren.

Bei den Ansätzen zur Anrechnung mobilisierter privater Investitionen als Teil des 100-Milliarden-Versprechens halten sich die Industrieländer die Türen zur kreativen Buchhaltung offen. Nicht nur sollen Investitionen, die durch den Einsatz öffentlicher Gelder erst zustande kamen, angerechnet werden. Die Geber verweisen auch darauf, dass Investitionen auch durch nicht-monetäre Maßnahmen mobilisiert werden könnten – und dies eventuell einen großen Anteil ausmache. Zudem fehlt Klarheit darüber, wie die Geberländer bei der Zählung mobilisierter privater Mittel berücksichtigen werden, dass es zahlreiche Faktoren gibt, die eine Investitionsentscheidung beeinflussen – darunter auch die politischen und rechtlichen Rahmen der Entwicklungsländer, die damit einen Großteil der mobilisierten Mittel eigentlich für sich selbst verbuchen können. Günstige Kredite oder andere Finanzinstrumente wie Garantien oder Bürgschaften mögen oft eine Investition erst möglich machen. An der Mobilisierung (im Sinne des 100-Milliarden-Versprechens) sind aber immer mehrere Seiten beteiligt.

Jetzt kommt es darauf an, dass die Geberländer mehr Klarheit über die anvisierten Anrechnungsmethoden vorlegen, denn das Geber-Statement ist hier sehr unscharf. In einem nächsten Schritt, wie bereits erwähnt, sollten unbedingt die Entwicklungsländer an den Tisch gebeten werden, damit gemeinsam ein robuster und von allen Seiten getragener  Fahrplan für das 100-Milliarden-Versprechen erarbeitet werden kann. Wenn dieser Fahrplan die Mobilisierung privater Mittel konservativ und nachvollziehbar abschätzt und außerdem deutlich macht, wie sich die jährlichen Mittel aus den öffentlichen Haushalten der Geberländer bis 2020 schrittweise erhöhen werden – dann könnte das 100-Milliarden-Versprechen bei den laufenden Verhandlungen um das neue Abkommen nicht mehr Gegenwind, sondern Rückenwind erzeugen.

Jan Kowalzig, Oxfam