NCQG / 300 Milliarden / Internationale Klimafinanzierung / Pariser Abkommen
COP29: Enttäuschendes Ergebnis zum neuen Globalziel Klimafinanzierung
Auf der UN-Weltklimakonferenz COP29 in Baku haben die Industrieländer einen echten Erfolg zum neuen Globalziel zur finanziellen Unterstützung einkommensschwacher Länder bei der Bewältigung der Klimakrise verhindert. Das neue Ziel wird den Bedarfen nicht gerecht, mehr als ein Minimalkonsens war nicht zu erreichen. Hoffnung könnte nun ein beschlossener Fahrplan zur COP30 machen.
Jährlich 1,3 Billionen US-Dollar – das hatten die einkommensschwachen Länder mit Blick auf vorliegende Bedarfsanalysen für das neue Globalziel Klimafinanzierung gefordert, zur Unterstützung bei Klimaschutz, Anpassung an die klimatischen Veränderungen und insbesondere auch für die Bewältigung unvermeidlicher Verluste und Schäden. Bisher lag dieses Ziel bei 100 Milliarden US-Dollar, die die Industrieländer jährlich für den Zeitraum 2020-2025 zu mobilisieren zugesagt hatten (mit mäßigem Erfolg, siehe hier und hier).
300 Milliarden US-Dollar – weit unter Bedarf
Auf der COP29 in Baku wurde nun dieses neue Globalziel (new collective quantified goal, NCQG) beschlossen. Demnach soll die Klimafinanzierung zwischen bis 2035 auf ein Niveau von jährlich mindestens 300 Milliarden US-Dollar wachsen. Das mag auf den ersten Blick wie eine ehrgeizige Verdreifachung des bisherigen 100-Milliarden-Ziels aussehen. Viele Vetreter:innen der Industrieländer haben auch versucht, das Ergebnis der COP29 als Erfolg zu verkaufen. Immerhin: Für Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist mit den 300 Milliarden „nur ein Anfang gemacht“, und auch Bundeskanzler Olaf Scholz (der wegen des beginnenden Wahlkampfes trotz Einladung gar nicht erst nach Baku gereist war) nannte das Ergebnis „nicht perfekt“.
Das ist wohl noch sehr vorsichtig ausgedrückt. Die Bedarfe in den Ländern des Globalen Südens liegen deutlich höher. Allein für die Anpassung an den Klimawandel stehen diese Länder vor Kosten von jährlich 215-387 Milliarden US-Dollar. Die Kosten von unvermeidlichen Verlusten und Schäden könnten bis 2030 auf jährlich 580 Milliarden US-Dollar anwachsen. Auch für Programme zum Klimaschutz (etwa zum Umbau der Energiesysteme) werden jedes Jahr hunderte Milliarden US-Dollar an externer, öffentlicher Unterstützung gebraucht (vgl. hier).
Insofern wird das in Baku beschlossene Ziel den Bedarfen in den einkommensschwachen Ländern nicht gerecht. Für den Auf- bzw. Ausbau der erneuerbaren Energien, für die Sicherung der Ernten oder den Schutz von Menschen vor kommenden Unwetterkatastrophen soll es also auch in Zukunft nur völlig unzureichend Unterstützung geben. Dass vor dem nun vereinbarten Ziel ein „mindestens“ steht, darf man wohl als Kosmetik bezeichnen.
Kredite und private Mittel
Hinzu kommt, dass offenbar die multilateralen Entwicklungsbanken einen Großteil des Ziels stemmen sollen. Sie wollen ihre Klimafinanzierung bis 2030 auf jährlich 185 Milliarden US-Dollar anheben, davon 120 Milliarden US-Dollar an öffentlichen Mitteln. Sie werden (wie bei den Entwicklungsbanken üblich) im Wesentlichen in Form von Krediten kommen, ein erheblicher Teil davon zu Marktkonditionen. Zwar können Kredite unter den richtigen Umständen ein geeignetes Instrument sein, wenn die damit finanzierten Programme etwa zum Ausbau der erneuerbaren Energien so wirtschaftlich sind, dass sie sozial ausgewogen gestaltet werden und dennoch Erträge erwirtschaften können, von denen sich dann die Kredite zurückzahlen lassen. Oft sind sie es aber nicht und können die ohnehin in vielen Ländern schon schwere Schuldenlast weiter erhöhen. Und: Für die Anpassung an den Klimawandel, etwa bei Maßnahmen zur Ernährungssicherung oder zum Schutz der Lebensgrundlagen, aber auch für viele notwendige Maßnahmen beim Klimaschutz in weniger entwickelten Ländern eigenen sich Kredite oft nicht.
Alle Akteure der Geberlandschaft hoffen zudem auf verstärkte Mobilisierung privater Investitionen als Beitrag zum neuen 300-Milliarden-Ziel. Die Entwicklungsbanken wollen bis 2030 für jeden eingesetzten Dollar deutlich mehr private Investitionen mobilisieren als bisher und hier bis 2030 ein Niveau von jährlich 65 Mrd. US-Dollar erreichen. Eine solche Verstärkung der mobilisierten privaten Mittel streben auch die Industrieländer für ihre bilaterale Zusammenarbeit an. Es spricht nichts prinzipiell gegen private Investitionen – im Gegenteil. Aber: Für viele notwendige Maßnahmen, insbesondere zur Anpassung an den Klimawandel, sind sie schlicht ungeeignet, insbesondere dann, wenn Investoren eine Rendite erwarten, die mit einer sozialen Ausgewogenheit umgesetzter Programme nicht zu erzielen ist. Sorge könnte hier der im Beschlusstext ebenfalls enthaltener Appell bereiten, für „enabling environments“ in den Entwicklungsländern zu sorgen, also ein investitionsfreundliches Umfeld. Damit war in der Vergangenheit oft Deregulierung, Privatisierung und Abbau von sozialen Standards gemeint, um die Renditeerwartungen von Investoren abzusichern.
Neue Geber – verwässerte Verantwortlichkeiten
Als Meilenstein werten die Industrieländer, dass nunmehr nicht mehr ausschließlich sie für das Erreichen des Ziels verantwortlich sind, sondern laut Beschluss nur noch eine Führungsrolle übernehmen müssen. Dazu passend wurde festgelegt, dass die Klima-Mittel der multilateralen Entwicklungsbanken nunmehr in Gänze auf das neue Ziel angerechnet werden und nicht mehr (wie beim 100-Milliarden-Ziel) nur der den Industrieländern zuzuschreibende Anteil. Das ist in der Sache in Ordnung, bedeutet aber natürlich keine Steigerung der Unterstützung, sondern nur eine Veränderung der Zählweise, die letztlich den Wert der „300“ schmälert.
Offen ist, wer nun konkret zum Geberkreis hinzustoßen wird – prinzipiell sind alle Länder gefragt, auf freiwilliger Basis (wie es schon das Pariser Abkommen vorsieht). Zwar spricht nichts dagegen, dass Länder, deren Wirtschafts- und Finanzkraft sowie deren Verantwortung für die Klimakrise vergleichbar sind mit denen der Industrieländer, auch vergleichbar handeln sollen – inklusive bei der Unterstützung einkommensschwacher Länder. Mit dem Ergebnis von Baku ist es aber den Industrieländern gelungen, ihre Verantwortlichkeiten in der Klimafinanzierung zu verwässern, denn: Wenn alle für das neue Ziel verantwortlich sind, ist letztlich niemand mehr wirklich verantwortlich. Das werden die Industrieländer auszunutzen wissen, etwa wenn sich in einigen Jahren abzeichnen sollte, dass das Ziel von Baku verfehlt werden könnte.
Verluste und Schäden: Blockade der Industrieländer
Das neue Ziel deckt nur die Unterstützung für Programme zum Klimaschutz und zur Anpassung an die klimatischen Veränderungen ab. Die Bewältigung von kommenden Verlusten und Schäden ist unter dem Ziel nicht vorgesehen – wegen des Widerstands der Industrieländer; es wird im Beschluss lediglich anerkannt, dass es hier prinzipiell mehr Unterstützung bräuchte. Während der gesamten Verhandlungen zum neuen Globalziel Klimafinanzierung in den letzten Jahren hatten die Industrieländer immer wieder formale Argumente vorgeschoben – tatsächlich aber war die Blockade rein politisch, denn auch den Industrieländern ist klar, dass die Schäden und Verluste in den gefährdeten Ländern in den kommenden Jahren sehr stark anwachsen werden. Damit werden diese Länder nun weiter im Wesentlichen allein gelassen (denn auch der vor zwei Jahren neu geschaffene UN-Fonds zur Bewältigung von Verlusten und Schäden enthält nur einen winzigen Bruchteil der benötigten Gelder).
Das ist bitter für jene Länder, die jetzt schon schwer mit dem Klimawandel zu kämpfen haben und nun also auch in Zukunft kaum mit Unterstützung rechnen können, etwa für den Wiederaufbau nach Katastrophen, wenn die Ernten verdorren oder von den Feldern gespült werden, Salzwasser in die Böden eindringt oder küstennahe Landstriche oder ganze Inseln in den steigenden Fluten versinken.
Kaum mehr Mittel durch die Geberländer?
Tatsächlich sind Szenarien denkbar, wie sich das 300-Milliarden-Ziel ohne weitere Anstrengungen der Industrieländer erreichen ließe – und diverse Äußerungen (z.B. hier und hier) lassen vermuten, dass die Industrieländer auch genau so gerechnet hatten, bevor sie kurz vor Ende der COP29 die 300 Milliarden als das maximal mögliche präsentierten. Nimmt man nämlich an, dass die Entwicklungsbanken ihre Kreditrahmen wie geplant ausweiten und die Mobilisierung privater Mittel verstärkt wird, bleibt für die bilaterale Zusammenarbeit und die multilateralen Klimafonds nicht mehr viel zu tun. Das nötige (nominelle) Wachstum über diese Kanäle entspräche unter Umständen gerade einmal einem Ausgleich für die zu erwartende Inflation bis 2035 – mehr Klimaschutz und mehr Anpassung als bisher ließe sich darüber dann also nicht finanzieren, insbesondere dort, wo die einkommensschwachen Länder auf Zuschüsse angewiesen sind.
Kommt es zudem dazu, dass einige der Schwellenländer (z.B. China oder Südkorea) ihre bereits existierende Unterstützung auf das 300-Milliarden-Ziel anrechnen (ohne dabei die Mittel notwendigerweise zu steigern) könnte die veränderte Zählweise unterm Strich sogar (kaufkraftbereinigt) ein Absinken der Unterstützung durch die Geberländer bedeuten.
Was ist der 1,3-Billionen-Fahrplan wert?
Und dann dies: Die von den Entwicklungsländern geforderten jährlich 1,3 Billionen US-Dollar finden sich tatsächlich im Beschluss von Baku wieder – wenn auch mit ganz anderen Vorzeichen, denn hier geht es nicht mehr um Unterstützung. Vielmehr sind alle „Akteure“ nun aufgerufen, dazu beizutragen, umfassendere Finanzflüsse in die Entwicklungsländer zu ermöglichen, die bis 2035 jährlich mindestens 1,3 Billionen US-Dollar erreichen sollen (darunter die schon beschriebenen jährlich 300 Milliarden US-Dollar). Man beachte, dass es sich hier um kein Ziel handelt, sondern um einen vagen Aufruf zum Handeln, dem zu folgen sich aber letztlich niemand wirklich verantwortlich fühlen muss.
Um dem Fehlen von Substanz zu diesem Aufruf zu begegnen, wurde in den letzten Stunden der COP29 noch ein Absatz hinzugefügt, der eine “Baku to Belém Roadmap to 1.3T” vorsieht. Dieser Fahrplan unter gemeinsamer Federführung der Präsidentschaften der COP29 (Aserbaidschan) und der COP30 (Brasilien) soll nun klären, wie sich der Aufruf mit Leben füllen ließe. Dass damit zusätzliche Unterstützung durch die Geberländer gemeint sein könnte, ist wohl nicht zu erwarten, denn ihre Leistungen sind in den 300 Milliarden US-Dollar bereits berücksichtigt. Bleibt die doch eher vage Vorstellung, dass es irgendwie gelingen kann die restliche Billion als private Investitionen zu erzeugen – oder ganz neue Quellen zu erschließen, etwa die schon seit über zehn Jahren immer wieder (und immer wieder erfolglos) diskutierten möglichen Abgaben auf den internationalen Schiffs- und Flugverkehr. Das kann gelingen, zumindest bietet dieser Fahrplan eine Chance auf einige Fortschritte im nächsten Jahr. Wenn es aber schlecht läuft, endet dieser Prozess zur COP30 mit einem dicken Bericht, der anschließend schnell Staub ansetzt.
Sonst noch: Kleinere Bausteine
Der Beschlusstext ruft die relevanten Akteure der Klimafinanzierung auf, den Zugang zur Klimafinanzierung zu verbessern – damit auch Länder mit geringen institutionellen Kapazitäten einfacher an vorhandene Mittel kommen. Anvisiert wird außerdem, die verausgabten Mittel über einige der multilateralen Klimafonds des Pariser Abkommens und der UN-Klimarahmenkonvention zu verdreifachen (was bei der derzeitigen Ausstattung dieser Fonds allerdings nur einen Trippelschritt ausmacht). Außerdem wird das Standing Committee on Climate Finance (SCF) mit Aufgaben versehen, den Fortschritt bei der Zielerreichung zu begleiten. Ansonsten werden noch einige bestehende Beschlüsse oder Vorkehrungen noch einmal bestätigt und einige richtige Aussagen (z.B. zur Überweindung bestehender Barrieren in der Klimafinanzierung) gemacht, allerdings ohne operative Kraft. Konkret bringt das wenig, schaden tut es aber sicher auch nicht.
Das Ergebnis der COP29 zur Klimafinanzierung ist insgesamt schwer enttäuschend. Wachsende Mittel zur direkten Unterstützung in Form von Zuschüssen wird es womöglich nicht geben, die Geberländer setzen trotz der Schuldenkrise in den einkommensschwachen Ländern vor allem auf Kredite, ein Übriges mögen private Investoren beitragen (wenn ihnen die einkommensschwachen Länder erhoffte Gewinne ermöglichen). Die Inflation der kommenden Jahre könnte das COP29-Ergebnis für die künftige Unterstützung durch die Industrieländer kaufkraftbereinigt auf ein schlichtes Weiter-So zusammenschnurzeln. Ob die für 2030 vereinbarte Ziel-Überprüfung etwas ändern wird, ist ungewiss. Ein Kurswechsel zu mehr Klimagerechtigkeit ist ganz sicher nicht erkennbar, die künftige Unterstützung dürfte für viele Länder bei weitem nicht ausreichen, um die klimafreundliche Entwicklung und die Anpassung an den Klimawandel mit dem nötigen Ehrgeiz voranzutreiben – von der immer drängenderen Bewältigung unvermeidlicher Verluste und Schäden ganz zu schweigen.
Jan Kowalzig, Oxfam