100 Milliarden / Internationale Klimafinanzierung / UNFCCC
Klimafinanzierung 2022: Tatsächliche Unterstützung weniger als ein Drittel der gemeldeten 116 Mrd. $
Ende Mai meldete die OECD, dass die Klimafinanzierung zur Unterstützung der Entwicklungsländer im Jahr 2022 fast 116 Milliarden Dollar erreicht habe. Eine neue Schätzung zeigt nun, dass die tatsächliche Unterstützungsleistung der Industrieländer bei der Bereitstellung der Mittel weniger als ein Drittel und möglicherweise weniger als ein Viertel dessen betrug, was die offiziellen Zahlen zu suggerieren scheinen.
Laut kürzlich veröffentlichter OECD-Zahlen haben die Industrieländer für das Jahr 2022 ein Niveau von 116 Milliarden Dollar an Klimafinanzierung gemeldet. Damit hätten sie die ursprünglich für 2020 versprochenen 100 Milliarden Dollar nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen. Das erstmalige Überschreiten der 100 Milliarden Dollar mag als Grund zur Erleichterung erscheinen, aber es bleiben grundsätzliche Kritikpunkte bestehen. Der größte Teil der bereitgestellten Finanzmittel kommt nach wie vor in Form von Krediten, die die ohnehin schon erdrückende Schuldenlast in vielen Ländern verschlimmern können; nach wie vor werden deutlich zuwenig Mittel für die Anpassung bereitgestellt. Und: In den 116 Milliarden Dollar sind keine Gelder für die Bewältigung unvermeidbarer Verluste und Schäden infolge der Klimakrise ausgewiesen.
Tatsächliche Unterstützungsleistung: bestenfalls 35 Milliarden Dollar
Eine neue Oxfam-Schätzung zeigt nun, dass die tatsächliche Unterstützungsleistung der Industrieländer bei der Bereitstellung von Klimafinanzierung im Jahr 2022 deutlich geringer waren. Nach dieser Schätzung belief sich die Climate-Specific Net Assistance (CSNA) im Jahr 2022 auf 28-35 Mrd. US-Dollar, also weniger als ein Drittel oder sogar weniger als ein Viertel der offiziell gemeldeten Zahlen. Die tatsächlichen Anstrengungen der Industrieländer zur Unterstützung der Anpassung betrugen demnach bestenfalls 15 Mrd. US-Dollar.
Abb. 1: Gemeldete Klimafinanzierung und Climate-Specific Net Assistance im Bergleich, 2021-2022 |

Die roten Balken zeigen die von der OECD gemeldete Klimafinanzierung. Die orangefarbenen und grünen Balken zeigen Schätzungen für die tatsächliche Unterstützungsleistung, gerundet auf die nächste halbe Milliarde. Die orangefarbenen Balken verwenden die OECD-Standardmethode für die Bilanzierung von Zuschussäquivalenten, die aber unrealistische Diskontsätze verwendet. Die grünen Balken verwenden die robustere Oxfam-Methode für die Zuschussäquivalente, die eine genauere Erfassung der finanziellen Leistung der Geberländer vornimmt. Einzelheiten finden sich in Oxfams Methodology Note.
Die große Differenz zu den offiziell gemeldeten 116 Mrd. USD ist auf die großzüghigen Berichterstattungsregeln zurückzuführen, nach denen die Industrieländer die von ihnen im Rahmen der UNFCCC und des Pariser Abkommens bereitgestellte Klimafinanzierung melden. Diese Berichterstattung, überschätzt den Wert der geleisteten Unterstützung deutlich. Das Problem ergibt sich aus zwei zentralen Aspekten: Erstens wird die Klimafinanzierung nach wie vor von Darlehen dominiert. Die Industrieländer berichten über Kredite anhand der Nennwerte und nicht anhand der zugrunde liegenden finanziellen Leistung der Geberländer, etwa um Zinssätze zu subventionieren und den Kredit zu Vorzugsbedingungen anzubieten. Zweitens wird die Klimarelevanz der gemeldeten Finanzmittel oft übertrieben, so dass die gemeldeten Mittel nicht dem entsprechen, was wirklich in den Klimaschutz oder die Anpassung an die klimatischen Veränderungen geht. Die Oxfam-Schätzung berücksichtigt diese beiden Aspekte, mit dem Ziel, die tatsächliche finanzielle Leistung der Industrieländer in der Klimafinanzierung besser widerzuspiegeln. So ließen sich übrigens auch die Fortschritte bei der Erfüllung der Verpflichtungen der Industrieländer gemäß Artikel 4.3 und 4.4 der UN-Klimarahmenkonvention und Artikel 9.1 des Pariser Abkommens hinsichtlich der Bereitstellung von finanzieller Unterstützung zur Bewältigung der Klimakrise besser messen.
Grundlage der Schätzung sind die OECD-Datensätze zur klimarelevanten Entwicklungsfinanzierung. Für die darin aufgeführten Mittel wurde zunächst ihre Klimarelevanz abgeschätzt (indem beispielsweise nur ein Anteilteil der Fördersumme von jenen Projekten gezählt wurde, bei denen Klimaschutz oder Anpassung nur eine untergeordnete Rolle spielten) und dann für Darlehen ihr Zuschussäquivalent berechnet, das den finanziellen Aufwand hinter den in Form von Darlehen bereitgestellten Mitteln zeigt. Hierbei wurden, anders als bei der OECD übrlichen Standardpraxis zur Berechnung dieser Zuschussäquivalente, realistische Diskontsätze verwendet, um die tatsächlichen Finanzierungskosten für die Geberländer bei der Bereitstellung von Darlehen abzubilden. Weitere Einzelheiten finden sich in Oxfams Methodology Note.
Tabelle 1: Climate-Specific Net Assistance (CSNA) nach Sektor, 2021-2022 | ||||||
Sektor |
2021 |
2022 |
||||
Gemeldete Klimafinanzierung | CSNA (OECD GE) |
CSNA | Gemeldete Klimafinanzierung | CSNA (OECD GE) | CSNA | |
Anpassung |
24,6 |
10,3-12,2 |
8,9-10,5 |
32,4 |
13,8-17,2 |
12,7-14,9 |
Minderung |
53,8 |
9,4-10,6 |
7,8-8,9 |
69,9 |
15,9-18,3 |
11,4-13,1 |
Übergreifend |
11,2 |
3,3-5,7 |
3,2-5,4 |
13,6 |
4,3-8,2 |
3,8-7,0 |
Summen |
89,6 |
23,0-28,5 |
19,8-24,8 |
115,9 |
35,0-43,7 |
27,9-34,9 |
Angaben in Mrd. US-Dollar. ‘CSNA’ zeigt Oxfams Abschätzung. ‘CSNA (OECD GE)’ zeigt zum Vergleich das Ergebnis unter Verwendung der Standardmethode der OECD zur Berechnung von Zuschussäquivalenten von Darlehen, die aber nicht realistische Diskontsätze verwendet. Quelle: Gemeldete Klimafinanzierung nach Angaben der OECD und eigene Berechnungen. |
Übrigens stellt die Schätzung nicht die technische Qualität der Zusammenstellung der gemeldeten Zahlen zur Klimafinanzierung in Frage beispielsweise in den regelmäßigen Berichten der OECD über die Fortschritte bei der Erreichung des 100-Milliarden-Dollar-Ziels. Die Schätzung zeigt aber, dass die tatsächliche Unterstützungsleistung der Industrieländer in der Klimafinanzierung weitaus geringer ist, als es die offiziell gemeldeten Zahlen vermuten lassen.
NCQG: Steigender Druck auf Industrieländer
Die tatsächlichen Leistungen der Industrieländerbei in der Klimafinanzierung sind also weitaus geringer, als es zunächst vielleicht den Anschein hat. Die Berichtspraxis, Darlehen nach Nennwert und nicht nach ihrem Zuschusäquivalent zu berichten, ist dabei das Hauptproblem. Besonders krass wird es, wenn Darlehen zu Bedingungen vergeben werden, die es dem Geberland ermöglichen, sogar Gewinne zu erzielen – solche Darlehen machen einen erheblichen Anteil der Klimafinanzierung aus. Auch sie werden in vollem Umfang als Klimafinanzierung ausgewiesen. Dies widerspricht den grundlegenden Prinzipien der Klimagerechtigkeit und steht im Grunde auch im Widerspruch zu den Verpflichtungen der Industrieländer der UNFCCC und des Pariser Abkommens.
Das künftige Globalziel Klimafiannierung (New Collective Quantified Goal, NCQG), das auf der kommenden UN-Weltklimakonferenz COP29 in Baku Ende 2024 verabschiedet werden soll und das 100-Milliarden-Dollar-Ziel für die Zeit nach 2025 ersetzen wird, stellt eine Gelegenheit dar, die Unzulänglichkeiten bei der Bilanzierung der Klimafinanzierung zu korrigieren. Wesentlich mehr Finanzmittel müssen in Form von Zuschüssen und hochkonzessionären Darlehen bereitgestellt werden, um den Bedarfen der einkommensschwachen Länder gerecht zu werden, ohne aber ihre Schuldenlast weiter zu erhöhen.
Außerdem sollte das Berichtswesen des Pariser Abkommens aktualisiert werden, damit künftig verbindlich der tatsächliche finanzielle Aufwand für die Bereitstellung von Darlehen erfasst wird und nicht nur ihr Nennwert. Dies würde nicht nur die Transparenz erhöhen und ein besseres Maß für die Fortschritte bei der Erfüllung bestehender Verpflichtungen im Rahmen der UNFCCC und des Pariser Abkommens bieten, sondern auch einen robusteren Vergleich zwischen Industrieländern ermöglichen, um sicherzustellen, dass alle Länder ihren fairen Anteil an der Klimafinanzierung leisten. Dies kann dabei helfen, Druck auf jene Länder zu erhöhen, deren Klimafinanzierung im Verhältnis zu anderen Ländern sehr zu wüsnchen übrig lässt.
Jan Kowalzig, Oxfam