Loss & Damage / Internationale Klimafinanzierung
Durchbruch bei der Finanzierung von Schäden und Verlusten auf der COP27
Die COP27, welche im November im ägyptischen Sharm el-Sheikh stattfand, wurde besonders von einem Thema geprägt: Den immer häufiger auftretenden klimawandelbedingten Schäden und Verlusten (engl. Loss and Damage) und deren entsprechende Finanzierung. Bisher gibt es hierzu keine klare Finanzierungsstruktur. Nun standen aber, dank der beständigen Forderungen des Globalen Südens und der internationalen Zivilgesellschaft, auf der COP27 Beschlüsse zu Finanzierungsvereinbarungen („funding arrangements“) im Mittelpunkt. Auf diese Aspekte fokussiert dieser Beitrag, auch wenn noch andere finanzrelevante Entscheidungen bei der COP27 getroffen wurden.
Annahme des Agendapunktes zur Finanzierung von Verlusten und Schäden
Im Vorfeld der Verhandlungen ernannte die ägyptische Präsidentschaft die deutsche Staatssekretärin Jennifer Morgan und die chilenische Umweltministerin Maisa Rojas zu Co-Fazilitatorinnen, um die Staaten gemeinsam zu einem Beschluss zur Finanzierung von Verlusten und Schäden zu führen. Das stellte eine große Herausforderung dar, da die Fronten vor der COP27 sehr verhärtet waren.
Doch die Vorarbeit der Fazilitatorinnen trug zu einem ersten Erfolg zu Beginn der COP bei: Nach 30 Jahren des Lobbyierens von der Allianz der Small Island Developing States (AOSIS), der am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) und der Verhandlungsgruppe der G77 und China – im Nachfolgenden fassen wir diese sich stark überlappenden Gruppen als „Globaler Süden“ zusammen – wurde das Thema klimawandelbedingte Schäden und Verluste auf der COP27 erstmalig durch den Agendapunkt 8f „Matters relating to funding arrangements for addressing loss and damage“ auf die Agenda gesetzt. Das kann als historischer Meilenstein für mehr Klimagerechtigkeit gesehen werden, welcher in den vergangenen Jahrzehnten durch den Globalen Norden (hier für die klassischen Industrieländer im Sinne der Konvention) blockiert wurde. Die anfängliche Euphorie flachte jedoch schnell ab, da der Globale Norden und Süden sehr divergierende Standpunkte in den Verhandlungen vertraten. Während der Globale Süden anfänglich eine Finanzfazilität für Schäden und Verluste forderte, lehnte der Globale Norden diese ab und verwies auf bereits existierende Finanzierungsmöglichkeiten (innerhalb und außerhalb des UNFCCC), erst zu schließende Lücken und auf ein Zusammenspiel aus verschiedenen Lösungen. Jedoch bekräftigten alle Vertragsparteien die Dringlichkeit, Schäden und Verluste zu adressieren und erkannten die Finanzierungslücken an.
Historischer Durchbuch: Einrichtung eines Fonds und „funding arrangements“ für Verluste und Schäden
Nach intensiven Verhandlungen und zwei Vorschlägen der Gruppe der G77 und China und der Europäischen Union (EU), gelang es in der Verlängerung der COP zu der historischen Entscheidung einen Fonds und dazugehörigen „funding arrangements“ für die Finanzierung von Schäden und Verlusten zu verabschieden. Ermöglicht wurde das durch die Beharrlichkeit und Einheit der Länder des Globalen Südens und einer späten, aber einflussreichen Unterstützung der EU. Letztere hatte sich, auch mit der Hilfe Deutschlands, sehr stark nach vorne bewegt und die anderen Länder des Globalen Nordens dazu gebracht, dem finalen Beschluss zuzustimmen. Positiven Einfluss hierauf hatten sicherlich auch die Konstellation nach den Zwischenwahlen in den USA und die zunehmenden sichtbaren Schäden und Verluste wie bei den Fluten in Pakistan. Hierdurch wurde ein „window of opportunity“ für die Finanzierung von Schäden und Verlusten geschaffen.
Der beschlossene Fonds soll nun im nächsten Jahr eingerichtet werden. Wer jedoch in ihn einzahlt und wer in welchem Umfang empfangsberechtigt ist, muss noch entschieden werden. Der Globale Norden zielte hier in den Verhandlungen auf einen Fokus auf die verletzlichsten Länder ab, ohne diesen aber näher zu spezifizieren. Dies wurde von den G77 und China vehement abgelehnt. Ein solcher Fokus hätte bei einer sehr strikten Auslegung die Gefahr geborgen, dass Länder wie Pakistan oder Honduras ausgeschlossen worden wären, obwohl sie auch stark von Schäden und Verlusten betroffen sind. Letztendlich referiert der Beschluss auf den relativ offenen Begriff „particularly vulnerable developing countries“, was insgesamt konsistent mit der bereits in der UNFCCC angelegten Herangehensweise zu finanzieller Unterstützung ist. Hier besteht aber weiterhin Konkretisierungsbedarf und es wäre sinnvoll, eine Priorisierung und eine nachvollziehbare Differenzierung nach Handlungskapazitäten, historischer Verantwortung und Vulnerabilität einzubeziehen.
Die Länder des Globale Südens bestanden außerdem darauf, dass die neuen Finanzzusagen zusätzlich zur Anpassungsfinanzierung, Entwicklungszusammenarbeit und Humanitärer Hilfe bereitgestellt werden sollten, die auf Schenkungen, nicht Krediten, basieren sollten. Durch einen eigenen Fond für Schäden und Verluste wird sich mehr Transparenz über die Beiträge der Geberstaaten und -institutionen und Mittel erhofft. In Bezug auf Geberstaaten lassen die bisherigen Diskussionen den Schluss zu, dass es hier zu einer Ausweitung der üblichen Geberstrukturen kommen könnte. Das spiegelt sich auch im Beschlusstext wieder, der zum einen „expanding sources“ und „other sources“ als Finanzierungsmöglichkeiten benennt (was auch Optionen eröffnet für innovative Finanzquellen wie z.B. Abgaben auf CO2, fossile Energien, Flug- und Schiffsverkehr etc.), aber auch nicht die klassischen Industrieländer als primäre Geber explizit benennt. Das wird auch davon unterstrichen, dass die Entscheidung sowohl unter der Klimarahmenkonvention (COP), als auch unter dem Pariser Klimaabkommen (CMA) läuft. Letzteres gilt bei einer Doppelentscheidung als das neuere Abkommen als das rechtlich relevantere. Das Paris-Abkommen unterstreicht in Artikel 9 zwar weiterhin die grundsätzlichen Finanzierungsverpflichtungen der so genannten entwickelten Länder, spezifiziert diese aber nicht mehr durch die Länderlisten im Annex zu der Konvention selbst. Zudem bezieht sich Artikel 9 lediglich auf die Klimafinanzierung für Minderung und Anpassung, nicht aber per se auch für Schäden und Verluste. Daraus folgt, dass die Unterteilung der Finanzierungsverantwortung sich durchaus bei Schäden und Verlusten unterscheiden könnte. Bei dieser Geberstaatendiskussion ist vor allem die Frage zentral, welche Rolle relativ wohlhabende und gleichzeitig emissionsrelevante Länder des Globalen Südens wie China oder die Golfstaaten haben werden.
Besonders China vertritt eine schwierige Position, da es sich selbst als „Entwicklungsland“ sieht, jedoch mittlerweile der größte Emittent von Emissionen und auch die zweitgrößte Volkswirtschaft ist. Generell ist es plausibel, dass Reichtum und historische Verantwortung als Determinanten zum Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung herangezogen werden (wie in der Konvention vage verankert). Seit 1992 haben sich die äußeren Umstände jedoch gewandelt, und einige Ölstaaten gehören jetzt zu den reichsten Ländern der Welt nach Pro-Kopf-Einkommen. Außerdem wird China die EU in naher Zukunft in Bezug auf ihre historische Verantwortung überholt haben. Daher sollte der Gerechtigkeitsansatz hier einer dynamischen Interpretation unterliegen und auf die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden. Neben einer möglichen Ausweitung der Geberakteure, als Ergänzung aber nicht als Ersatz der besonderen Verantwortung der so genannten Industrieländer, sollten auch innovative Finanzierungsinstrumente eine herausgehobene Rolle spielen. Hier könnte man an eine Abgabe beim internationalen Flugverkehr oder an das Abschöpfen der massiven Gewinne der fossilen Industrie denken. Spannend ist auch, inwiefern die internationale Finanzarchitektur inklusive multilateraler Entwicklungsbanken und Internationaler Währungsfonds dazu beitragen können.
Erste Antworten auf diese vielen offenen Fragen soll ein eigens eingerichtetes Übergangskomitee („Transitional Committee“) finden, welches sich vor Ende März 2023 erstmals und insgesamt in diesem Jahr mindestens dreimal treffen soll. Folgende Aspekte benennt die COP-Entscheidung explizit als Arbeitsaufgaben:
- Die Etablierung der institutionellen Ausgestaltung, Modalitäten, Struktur, Governance und der Rolle des Fonds
- Die Definition neuer Elemente des Finanzierungs-Arrangements
- Die Identifizierung und Ausweitung der Finanzquellen
- Die Sicherstellung von der Koordination und der Komplementarität mit existierenden Finanzarrangements
Die Grundidee eines solchen Komitees basiert dabei auf einem ähnlichen Ansatz, der zur Erarbeitung erster Parameter des Green Climate Fund in 2011 weitestgehend funktioniert hat. Die 24 Mitglieder des Übergangskomitees werden die sehr herausfordernde Aufgabe haben, Vorschläge für die Operationalisierung des Fonds zu erarbeiten, die dann die Staaten bei COP28 finalisieren und annehmen sollen. Diese Mitglieder sind bisher noch nicht bekanntgegeben worden. Jedoch wurde festgelegt, dass 10 aus dem Globalen Norden und 14 aus dem Globalen Süden stammen werden.
Operationalisierung des Santiago Netzwerk für Schäden und Verluste
Die zweite große Errungenschaft der COP27 im Kontext von Schäden und Verlusten ist beim Santiago Netzwerk für Schäden und Verluste (engl. Santiago Network for Loss and Damage, kurz SNLD) zu finden. Bei den Verhandlungen zum SNLD, welches auf der COP25 beschlossen wurde, gab es erhebliche Fortschritte.
So gelang es in der zweiten Verhandlungswoche das SNLD zu operationalisieren und sich auf eine Struktur zu einigen. Diese umfasst nun ein Sekretariat, ein beratendes Gremium und ein Netzwerk von Mitgliedsorganisationen, Einrichtungen, Netzwerken und Expert:innen. Gerade das beratende Gremium kann als Erfolg für den Globalen Süden gewertet werden, welcher dieses gefordert hatte. Es stellt sicher, dass das SNLD zu den tatsächlichen Bedürfnissen der Betroffenen vor Ort arbeitet. Damit dies sichergestellt ist, müssen die Finanzierungszusagen für das SNLD jedoch erheblich steigen, da diese bisher bei weitem nicht den Bedarf decken. Dennoch wurde mit dem SNLD ein konkreter Implementierungsarm zur technischen Beratung des Globalen Südens geschaffen, welcher bis 2023 voll einsatzfähig sein könnte.
Die Verhandlungen verliefen nicht ohne Schwierigkeiten. So versuchten die USA, aber auch andere Länder des Globalen Nordens, die Struktur und die politische Relevanz des Netzwerkes zu schwächen. Durch vehementen Protest durch den Globalen Süden und die internationale Zivilgesellschaft wurde die Blockadehaltung jedoch aufgegeben, und eine robuste Struktur verabschiedet. Im Entscheidungstext gibt es leider nur einen impliziten Verweis auf Menschenrechte, welcher durch die Zivilgesellschaft hart erkämpft wurde. Dies veranschaulicht eindrucksvoll den fortwährenden Kampf um Menschenrechte in den Verhandlungen, damit sichergestellt werden kann, dass diese trotz der wachsenden Zahl autoritärer Staaten insbesondere im Globalen Süden sicher verankert werden.
Finanzzusagen außerhalb der offiziellen Verhandlungen
Am Rande der Verhandlungen gab es mehrere Finanzierungszusagen von Ländern des Globalen Nordens (z.B. Belgien, Spanien, Kanada oder UK). Diese bezogen sich mehrheitlich auf den von Deutschland im Rahmen seiner G7 Präsidentschaft zusammen mit der Gruppe der verletzlichsten Länder, den Vulnerable 20 (V20) und dem CVF (Climate Vulnerable Forum) initiierten Globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken (Global Shield Against Climate Risks). Dieser hat das Ziel, die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen bei der Bewältigung von Klimaauswirkungen zu unterstützen. Somit leistet er einen wichtigen Beitrag zur Koordinierung der globalen Finanz- und Versicherungsarchitektur für Klima- und Katastrophenrisiken. Deutschland stellte hier 170 Millionen Euro bereit. Während der Verhandlungen wurde der Globale Schutzschirm gemischt aufgenommen. Einige Länder des Globalen Südens hatten die Sorge, dass die Initiative dazu instrumentalisiert werden würde, um von den Forderungen des Globalen Südens innerhalb der Verhandlungen abzulenken. Dem wiedersprachen die deutsche Regierung und das CVF und verwiesen auf die Komplementarität zu den Verhandlungsergebnissen. Nachdem der Fonds und die financing arrangements dann verabschiedet wurden, wurde der Globale Schutzschirm sogar im Abschlusstext von allen Staaten begrüßt. Ein Wermutstropfen bei den Finanzzusagen ist allerdings, dass vermutlich die allermeisten Länder diese ganz normal als Anpassungsfinanzierung zählen werden und sie damit dem Anspruch wirklich zusätzlicher Finanzierung zu Klimaschäden (siehe oben) nicht gerecht werden. Zugegebenermaßen sieht die Klimafinanzierungsberichterstattung unter der UNFCCC bisher die Finanzierung für den Umgang mit den Schäden und Verlusten auch nicht vor. Diese Lücke gilt es ebenso zeitnah zu schließen.
Außerdem sollten Schäden und Verluste, gerade als Anliegen der ärmsten und verletzlichsten Staaten, nicht instrumentalisiert werden, um andere wichtige Themen voranzubringen. Nach der COP27 waren einige Stimmen hörbar, die postulierten, dass der Fonds zu Lasten des Klimaschutzes verabschiedet wurde. Dem muss widersprochen werden. Zum einen sind ja auch die verletzlichsten Staaten die, die seit Jahren auf Klimaschutzentscheidungen im Einklang mit der 1,5°-Grad-Grenze drängen (während kein Industrieland, auch nicht die EU, bis heute 1,5°C-kompatible Klimapolitik vorgelegt hat). Zum anderen ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Staaten, die stärkeren Beschlüssen zur Abkehr von den fossilen Energien im Weg standen – primär fossil-basierte Petrostaaten wie Saudi-Arabien, Ägypten, Russland etc. – hier progressiver gewesen wären, wenn es die Debatte um den Klimaschaden-Fonds nicht gegeben hätte, zumal auch die Industrieländer insgesamt bei Klimafinanzierung kaum etwas geliefert haben. Und dass gegen Ende der Verhandlungen die Themen eng verknüpft sind und quasi „gehandelt“ werden, gehört leider von verschiedenen Seiten zum Ritus des multilateralen Prozesses.
Lisa Schultheiß, Germanwatch
Sabine Minninger, Brot für die Welt
Sven Harmeling, CARE
David Ryfisch, Germanwatch
Petter Lydén, Germanwatch