100 Milliarden / UNFCCC / Zusagen

Neue OECD-Zahlen: Industrieländer brechen $100-Milliarden-Versprechen

Wie erwartet haben die Industrieländer ihr Versprechen aus dem Jahr 2009 nicht eingehalten, die Klima-Hilfen für ärmere Länder bis 2020 auf jährlich 100 Milliarden Dollar zu erhöhen. Nach jüngst veröffentlichten Zahlen der OECD lag das Niveau im Jahr 2020 bei rund 83 Milliarden Dollar.

Die Zusage der Industrieländer, die Unterstützung für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel in den ärmeren Ländern bis 2020 auf jährlich 100 Milliarden Dollar zu steigern, war eines der wenigen Ergebnisse des ansonsten desaströsen UN-Klimagipfels in Kopenhagen Ende 2009. Seither sind Klimafinanzierung und das 100-Milliarden-Versprechen zu einem festen Bestandteil des internationalen Klimaregimes geworden. Auf dem UN-Klimagipfel 2015 in Paris bestätigten die reichen Länder nicht nur das Ziel, sondern stimmten auch zu, das Niveau von 100 Milliarden Dollar pro Jahr bis 2025 beizubehalten.

Seit 2009 hat die Klimafinanzierung auch zugenommen – und dies auch in beträchtlichem Umfang, zumindest wenn man sich die offiziellen Zahlen anschaut. Gleichzeitig gab es schon früh Anzeichen dafür, dass die Erfüllung des Versprechens schwierig werden könnte, einigerseits wegen der Zögerlichkeit, mit der die Industrieländer die Unterstützung aus ihren öffentlichen Haushalten zu erhöhen bereit waren, und andererseits wegen eher unrealistischen Szenarien für die Höhe der privaten Investitionen, die die Industrieländer mobilisieren zu können vorgaben.

Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz COP26 kamen die Industrieländer niciht mehr umhin, diese Realität endlich zu akzeptieren. Wenn schon nicht 2020, so sollte das versprochene Niveau wenigstens 2023 erreicht werden – auf Grundlage einer Reihe von Zusagen der Industrieländer für den Zeitraum 2021-2025, einschließlich der 6-Milliarden-Euro-Zusage Deutschlands (die die Bundesregierung bisher weitgehend ignoriert).

OECD: Ziel um 17 Milliarden Dollar verpasst

In ihrem jüngsten Bericht bestätigt die OECD nun, was alle erwartet hatten: Die Klimafinanzierung im Jahr 2020 blieb weit hinter den Versprechungen zurück und lag mit rund 83 Milliarden Dollar deutlich unter den versprochenen 100 Milliarden Dollar und nur geringfügig über den 2019 und 2018 erreichten Werten (jeweils rund 80 Milliarden Dollar).

Abb. 1: Internationale Klimafinanzierung 2013-2020 (Mrd. USD)

Climate finance 2013-2020

Klimafinanzierung in den Jahren 2013-2020 nach dem jüngsten OECD-Bericht. Zwar stieg die Klimafinanzierung im Laufe der Zeit, allerdings hatte sich schon seit einigen Jahren der Anstieg abgeflacht bzw. kam fast zum Erliegen. Die Industrieländer haben ihr 100-Milliarden-Dollar-Versprechen von 2009 nun also auch offiziell nicht eingehalten.

Das ist nicht nur ein politisches Desaster für die Glaubwürdigkeit der reichen Länder, das sich auch auf die bevorstehenden UN-Klimaverhandlungen (COP27) auswirken dürfte. Es hat auch reale Folgen für die Menschen, die bereits unter der sich verschärfenden Klimakrise leiden, weil zig Milliarden für wichtige Programme und Projekte zur Senkung der Emissionen und Anpassung an die Veränderungen in den ärmeren Ländern fehlen.

Und auch wenn die immerhin 83 Milliarden Dollar beachtlich erscheinen mögen: Mit den fiskalischen Maßnahmen der Industrieländer, um ihre Volkswirtschaften gegen die Corona-Krise zu stützen, ließe sich das 100-Milliarden-Versprechen für die nächsten 150 Jahre zu erreichen (siehe Tabelle hier). Zudem gibt es bei genauerer Betrachtung noch weitere Probleme.

Abb. 2: Kanäle, Instrumente und Sektoren der Klimafinanzierung 2020 (Mrd. USD)

Klimafinanzierung 2020

Klimafinanzierung im Jahr 2020, aufgeschlüsselt nach Finanzierungskanälen, Instrumenten und Sektoren. Quelle: OECD

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Großzügige Kontoführung, Schuldenkrise und wenig Mittel für Anpassung

Zunächst einmal: die 83 Milliarden Dollar spiegeln nicht die tatsächliche Unterstützung für die Entwicklungsländer wieder sondern ergeben sich aus der Zusammenstellung der Angaben der Geberlände nach einem Berichtssystem, das eine sehr großzügige Bilanzierung auch solcher Programme zulässt, bei denen Klimaaspekte möglicherweise nur eine untergeordnete Rolle spielen. Auch werden Kredite mit ihrem Nennwert gezählt, obwohl sie zurückgezahlt werden und der tatsächliche finanzielle Nutzen eines z.B. zinsvergünstigten Kredits für das Empfängerland auf den Effekt der besseren Konditionen und der niedrigeren Zinsen im Vergleich zu einem Darlehen zu Marktzinsen beschränkt ist. In seinem Climate Finance Shadow Report 2020 schätzt Oxfam, dass 2017 und 2018 der tatsächliche Wert der Unterstützung, die spezifisch für Klimaschutz und Anpassung in den Entwicklungsländern zur Verfügung stand, nur etwa ein Drittel dessen ausmachten, was die Industrieländer als öffentliche Klimafinanzierung auswiesen. Für 2020 dürfte die Situation prinzipiell ähnlich sein.

Was Kredite angeht, ist die Zählweise aber nicht das einzige Problem. 71 Prozent der öffentlichen Klimafinanzierung im Jahr 2020 kam in Form von Krediten, viele davon nicht einmal zu Vorzugsbedingungen mit besonders günstigen Zinsen. Das ist zutiefst ungerecht, denn gefährdete Länder sollten nicht gezwungen werden, Kredite aufzunehmen, um eine Krise zu bewältigen, die sie nicht verursacht haben. Klima-Kredite verschärfen die hohe Schuldenlast in ärmeren Ländern weiter und bedeuten damit zusätzliche Belastungen für die öffentlichen Haushalte, die ohnehin schon wegen der multiplen Krisen angespannt sind, darunter die sich verschärfenden Klimakrise, die Folgern der Corona-Pandemie und ganz aktuell auch die Folgen des Krieges in der Ukraine.

Schließlich ist weiter eine Schieflage bei der Allokation der Mittel zu beklagen (vgl. Abb. 2). Nur etwa ein Drittel der gesamten Klimafinanzierung im Jahr 2020 stand für die Anpassung an die Veränderungen zur Verfügung. Zwar zeigen die Zahlen für 2020 eine Verbesserung gegenüber den Vorjahren, in denen der Anteil für Anpassung noch geringer war. Dennoch sind wir noch weit von der vereinbarten Balance zwischen Klimaschutz und Anpassung entfernt, die eigentlich eine 50:50-Aufteilung zwischen den beiden Bereichen erfordern würde.

Industrieländer müssen nun handeln

Bleibt zu hoffen, dass die Industrieländer nun ernsthafte Schritte ach vorne unternehmen und rechtzeitig vor den nächsten UN-Klimaverhandlungen COP27 entsprechende Signale aussenden werden. Dazu müssten sie die Klimafinanzierung schrittweise aufstocken, so dass das versprochene Niveau von jährlich 100 Milliarden Dollar im Zeitraum 2020-2025 im Durchschnitt erreicht wird, also 600 Milliarden Dollar insgesamt, einschließlich eines Ausgleichs für die Untererfüllung in früheren Jahren durch höhere Unterstützung in den Folgejahren. Außerdem sollten die kommenden Steigerungen insbesondere dem Bereich Anpassung zugute kommen, um zumindest das von der COP26 gesetzte Ziel einer Verdoppelung der Mittel für die Anpassung bis 2025 (gegenüber 2019) ehrgeizig zu erreichen. Für das Wachstum braucht es zudem vor allem mehr Zuschüsse, um die Schuldenberge in den Empfängerländern nicht noch weiter anwachsen zu lassen.

Jan Kowalzig, Oxfam