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Weltnaturkonferenz 2022 auf dem Trockenen: Erfolgreiche Verhandlungen zu Biodiversität können ohne Finanzierung nicht gelingen

Die internationalen Gelder sind auch im Biodiversitätsbereich knapp. Foto: Ralph Frank/WWF

Neben der internationalen Klimafinanzierung spielt die Finanzierungsfrage auch eine zentrale Rolle in den Verhandlungen zur Biodiversitätskonvention. Welche Fragen 2022 für die kommende Weltnaturkonferenz zu lösen sind und was das für die deutsche Politik bedeutet, erläutert Florian Titze vom WWF Deutschland in einem Gastbeitrag auf www.deutscheklimafinanzierung.de.

Die UN-Konvention zur Biologischen Vielfalt (CBD) soll (Stand Mai 2022) bei der Weltnaturkonferenz im August 2022 (COP15) ein neues politisches Rahmenwerk bekommen – einen globalen Plan für die Natur zum Stoppen und Umkehren des Biodiversitätsverlustes. Die knapp 200 Vertragsstaaten werden sich dafür im chinesischen Kunming einfinden, um die nötigen Maßnahmen und Ziele festzulegen, die Umsetzungsmechanismen zu entscheiden und sich schließlich über die dafür benötigte Finanzierung einigen. Letzteres klingt trivial, ist in der Verhandlungsrealität der CBD aber längst zur Gretchenfrage geworden. Zwar sind sich alle Staaten einig, dass dringend mehr Ressourcen gebraucht werden, damit ein neues Abkommen nicht nur ein fairer Deal ist, sondern auch tatsächlich umgesetzt werden kann, doch wenn es um konkrete Verpflichtungen und Zahlen geht, geben sich die traditionellen Geberländer wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien plötzlich äußerst zurückhaltend. Die Verhandlungen belastet das schwer. Alle wissen: Die 2010 in Japan verabschiedeten ‚Aichi-Ziele‘ für die Biodiversität wurden von der Weltgemeinschaft komplett verfehlt, auch wegen der mangelnden Finanzierung.

Artenvielfalt, biologische Vielfalt, Biodiversität, Natur; Verschiedene Begrifflichkeiten die im Grunde das gleiche meinen: das Netz des Lebens, von dem wir alle abhängen. Ohne funktionierende Ökosysteme gäbe es keine Luft zum Atmen, kein sauberes Wasser zum Trinken, kein Essen auf unserem Teller. Und letztlich auch keinen Wohlstand und keine wirtschaftliche Entwicklung. Das Weltwirtschaftsforum schätzt, dass ca. 44 Billionen US-Dollar – mehr als die Hälfte des weltweiten BIP – von Leistungen abhängig sind, die uns Natur und Artenvielfalt auf natürliche Weise erbringen. Die Natur zu retten ist somit nicht nur wie im Koalitionsvertrag der Ampelregierung beschrieben „eine Menschheitsaufgabe und eine ethische Verpflichtung“, sondern rechnet sich auch wirtschaftlich.

Eigentlich sollte schon 2020 das „Super-Jahr“ für die Natur werden. Große politische Momente, wie der UN-Biodiversitätsgipfel im September desselben Jahres sowie die ursprünglich bereits für Oktober 2020 geplante Weltnaturkonferenz in China sollten neue Weichen stellen für unseren Umgang mit der Artenvielfalt. Nach den wiederholten Verzögerungen der Verhandlungen durch die Corona-Pandemie ist nun geplant, im September 2022, am Schlusstag der Weltnaturkonferenz, das neue Abkommen zu beschließen. Bevor das möglich ist, sind allerdings noch eine Reihe an Vorverhandlungen erforderlich, um die bislang noch sehr unterschiedlichen Vorstellungen der Vertragsstaaten näher zusammen zu bringen. Nur, wenn die Verhandler:innen sich bereits im Vorfeld über das Gröbste geeinigt haben, kann der erreichte Konsens auf der COP15 in ein von allen mitgetragenes gemeinsames Abkommen gegossen werden. Die letzte Verhandlungsrunde im März 2022 – die erste die nach über zwei Jahren wieder physisch stattfand – hat gezeigt: So weit ist man noch lange nicht. Das Fazit ist ernüchternd. So gut wie kein inhaltlicher Fortschritt in zentralen Punkten, fehlendes gegenseitiges Vertrauen, zu wenig Bereitschaft zu Kompromissen und vor allem: fundamentale Uneinigkeit beim Thema Finanzierung.

Der Elefant im Raum – die Entwicklungsfinanzierung

In Sachen Geld und Biodiversität steht die Weltgemeinschaft vor einer immensen Herausforderung. In den politischen Verhandlungen liefert zwar vor allem die Entwicklungsfinanzierung (ODA) das größte politische Kapital, die erforderliche Gesamtlösung ist jedoch komplexer: naturschädliche Subventionen müssen abgebaut und umgeleitet werden – Deutschland alleine zahlt pro Jahr rund 68 Milliarden Euro an staatlichen Zuschüssen für Wirtschaftsaktivitäten, die der Umwelt schaden –  Finanzsektorreformen für einen nachhaltigen Finanzmarkt müssen eingeleitet werden und nationale Finanzpläne müssen in allen Ländern einen effizienteren Umgang mit der Biodiversitätsfinanzierung garantieren.

Trotz der großen Herausforderung der schädlichen Finanzströme werden die CBD-Verhandlungen von einem Thema mehr geprägt als von jedem anderen. Wie in vielen der internationalen Verhandlungen, in denen Entscheidungen über die Lösung von langfristigen ökologischen Krisen von einer großen Zahl höchst unterschiedlicher Länder getroffen werden müssen, entscheidet oft nicht zuletzt die Frage des Geldes: Entwicklungsfinanzierung. Konsens ist erst möglich, wenn Zugeständnisse mit harter Währung erkauft werden. Diese Realität ist für die CBD sogar im Konventionstext festgeschrieben. Artikel 20 legt fest, dass die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen durch die Entwicklungsländer abhängig ist von erbrachter finanzieller, technischer und technologischer Unterstützung durch die „entwickelten“ Vertragsstaaten. Artikel 20 war im Jahr 1992, bei der Geburtsstunde der drei Rio-Konventionen auf der Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro, eine politische Grundvoraussetzung für die Entstehung der CBD.

Hintergrund dieser Übereinkunft ist auch, dass sich der Großteil des noch heute auf unserem Planeten verbliebenen Biodiversitätsreichtums, inklusive der sogenannten „Biodiversity-Hotspots“, in ärmeren Ländern des globalen Südens befindet. Die meisten westlichen Industrienationen haben „ihre“ Natur im Zuge ihrer Entwicklung bereits nahezu vollständig zerstört. In Deutschland gibt es heute z.B. magere 0,6% geschützte Wildnis. Weltweit sind die Populationen von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Reptilien und Amphibien seit 1970 um alarmierende 68 Prozent geschwunden. Mit der rasant fortschreitenden Zerstörung von Ökosystemen und Artenvielfalt steigen auch die Kosten für ihren Erhalt. Das Nichts-tun der Staaten im Angesicht der neben Klimawandel größten ökologischen Krise unserer Zeit macht somit auch die politische Lösung für die dringend nötige Wende zunehmend schwieriger.

Auf der 11. Vertragsstaatenkonferenz 2012 (COP11) in Hyderabad einigten sich die Länder bereits auf eine Verdopplung der internationalen Finanzierung für die Entwicklungsländer. Aber wie viel Geld ist das? Verlässliche Daten gibt es nur wenige. Die OECD geht von insgesamt 78 bis 91 Milliarden US-Dollar im Jahr aus. Davon kommt allerdings nur ein Bruchteil aus internationalen staatlichen Geldern gemäß Artikel 20, nämlich nur 3,9 – 9,3 Milliarden pro Jahr. Die Abweichung in der Schätzung liegt an den verschiedenen Definitionen für Biodiversitätsfinanzierung, je nachdem ob Biodiversität das Hauptanliegen oder ein Nebenanliegen eines Projektes ist. Ungefähr 67,8 Milliarden kommen aus nationalen Budgets und 6,6 – 13,6 Milliarden aus privater Finanzierung. Gemessen an den nötigen weitreichenden Maßnahmen für den Erhalt der Biodiversität ist das viel zu wenig.

Tut Deutschland genug, um zu einem Erfolg in Kunming beizutragen?

Bestehen heute die Voraussetzungen für ein bahnbrechendes internationales Abkommen für die Natur à la Paris? Die aktuelle globale Lage und ein schwächelnder Multilateralismus in der Welt werfen ihren Schatten auch auf die Biodiversitätsverhandlungen. Dennoch wäre so ein Paris-Moment möglich, wenn das Thema Artenvielfalt einen der Krise angemessenen politischen Stellenwert hätte, insbesondere in westlichen Ländern wie Deutschland. Geht es ums internationale Geld, konkurrieren die Befürworter des Biodiversitätserhalts jedoch nicht zuletzt mit ihren Kolleg:innen, die sich für Klimaschutz einsetzen. Denn es fehlt an politischem Willen für beides genug zu investieren. Dabei erleben wir eine ökologische Zwillingskrise. Denn auch die Klimakrise ist unter den größten direkten Treibern des   Verlustes der Artenvielfalt und der Schädigung der Ökosysteme. Umgekehrt absorbieren und speichern Ökosystemen immense Mengen an CO2, stabilisieren das (lokale) Klima und sind die Grundlage für effektive Anpassungsstrategien. Biodiversität und Klima bedingen sich gegenseitig und lassen sich nur gemeinsam retten.

Auch deshalb stehen die CBD-Verhandlungen bei der Finanzierung bereits auf der Kippe. Einige Länder aus dem globalen Süden, darunter z.B. Brasilien, machen in geschlossenen Textverhandlungen so gut wie jeden Paragraphen direkt abhängig von der im Gegenzug zu leistenden finanziellen Unterstützung. Schließlich sei die Umsetzung der ambitionierten Maßnahmen, darunter z.B. der Schutz von 30 Prozent der Land- und Meeresfläche, der in einem der Ziele verankert werden soll, ohne solidarische Hilfen in Form von Entwicklungsfinanzierung nicht möglich. Teils sind die Forderungen aus dem globalen Süden unrealistisch und unkonstruktiv, teils sind sie berechtigt. So haben sich zwei Extreme gebildet, die sich jenseits des Spektrums konsensfähiger Ergebnisse befinden. Eine gegenseitige Annäherung ist bisher nicht zu erkennen, denn auch Deutschland und die EU sind bisher nicht bereit, sich bei der Finanzierung flexibel zu zeigen. Die Folge: Stillstand. Was fehlt ist eine positive Erwartung für Zugeständnisse. Es gibt keine politischen oder diplomatischen Signale, dass man in irgendeiner Weise mit einer Erhöhung der Gelder rechnen kann, egal wie viele Zugeständnisse dafür gemacht würden. Die einzige Botschaft, auch von Deutschland, ist aktuell: Wir haben kein Geld.

Diese fehlende Erwartung spiegelt sich auch in den Entwürfen des Bundeshaushalts 2022 wider. Trotz der klaren Aussage im Koalitionsvertrag, man möchte das „finanzielle Engagement zur Umsetzung des globalen Rahmens erheblich erhöhen“, lässt sich im aktuellen Haushaltsentwurf kein Hinweis auf die geplante Erhöhung finden. Deutschland gehört mit Frankreich, Großbritannien zu den größten Gebern für Finanzhilfen zu Biodiversität. Somit hat auch das Zögern Deutschlands ein schon länger bröckelndes Vertrauensverhältnis, insbesondere mit den Afrikanern, weiter geschädigt. Ohne ein starkes Signal der Bundesregierung, dass man sich im globalen Süden auf Deutschland verlassen kann, um die enormen Aufgaben im Biodiversitätsschutz gemeinsam zu bewältigen, ist in Kunming anstelle des gewünschten „Paris-Momentes“ vermutlich eher der gefürchtete „Kopenhagen-Moment“ zu erwarten, in Anlehnung an die dort 2009 spektakulär gefloppten Klima-Verhandlungen. Angesichts der in den letzten Jahrzehnten gescheiterten internationalen Biodiversitätspolitik kann nur eine starke Erhöhung der internationalen Biodiversitätsfinanzierung als angemessenes Signal betrachtet werden.

Bleibt diese Erhöhung aus, riskiert Deutschland damit nicht nur ein erfolgreiches globales Abkommen auf der Weltnaturkonferenz, sondern auch die eigene Reputation als verlässlicher globaler Partner und die politische Glaubwürdigkeit in der Umweltdiplomatie. Eine Reise von Bundesministerin Steffi Lemke zur Weltnaturkonferenz in China könnte so zu einer bedauerlichen Blamage werden. Deutschland gibt aktuell schätzungsweise 800 Millionen Euro jährlich an internationalen Geldern für Biodiversität aus. Deutsche Umweltorganisationen fordern eine Steigerung auf mindestens zwei Milliarden Euro pro Jahr bis Ende der aktuellen Legislaturperiode. Ein Aufwuchs auf mindestens eine Milliarde pro Jahr im Bundeshaushalt 2022 wäre trotz aller Herausforderungen ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und ein enorm wichtiges Signal für die kommende Weltnaturkonferenz.

Gastbeitrag von Florian Titze, Experte für internationale Politik bei WWF Deutschland.