Andere Themen / Loss & Damage

Finanzierungsstrategien für klimabedingte Schäden und Verluste

Küstenerosion durch Meeresspiegelanstieg, Carteret Islands, Papua Neuguinea Photo: Tulele Peisa

“Loss and Damage” – klimabedingte Schäden und Verluste – sind eines der konfliktivsten Themen der internationalen Klimapolitik. Im Kern geht es um die Frage, wie eine verantwortungsgerechte Lastenteilung aussehen könnte, wenn es zum Schlimmsten kommt und trotz ergriffener Anpassungsmassnahmen klimabedingte Schäden bzw. Verluste eintreten, die finanziell ausgeglichen werden müssen.

Aufgrund der erheblichen finanziellen wie rechtlichen Implikationen ist die Debatte sensibel – und eignet sich deshalb leider auch besonders gut zur Instrumentalisierung bzw. Konfliktverschärfung. Zugleich erschweren Unwissen und Mißverständnisse mögliche Lösungen. Über viele Jahre hinweg waren die Industrieländer erfolgreich damit, sich der Auseinandersetzung zu entziehen, indem alle etwaigen Ansprüche auf Unterstützung bzw. Entschädigung pauschal verneint wurden.  Diese Abwehrstrategie ist aber spätestens seit der Klimakonferenz in Warschau (2013) gescheitert, als es den Entwicklungsländern unter dem Eindruck der gewaltigen Verheerungen des Super-Thyphoons Haiyan gelang, den “Warsaw International Mechanism” zum Umgang mit klimabedingten Schäden und Verlusten durchzusetzen. Auch wenn die Industrieländer in Lima im Dezember 2014 zunächst nochmals damit erfolgreich waren, den Anspruch der am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) sowie der kleinen Inselstaaten (AOSIS) abzuwehren, “Loss and Damage” als Element des Pariser Abkommens festzuschreiben: es ist nicht zu erwarten, dass sich diese Linie in Paris durchhalten lässt, ohne die Substanz des Pariser Abkommens in seiner Gesamtheit zu unterminieren. Insofern ist es schwer verständlich, warum die EU ihre eigentlich engsten Verbündeten, LDCs und AOSIS, immer wieder düpiert, indem diesen die Anerkennung ihres Kernanliegens “Loss & Damage” im Rahmen des Pariser Abkommens verweigert wird.

Zuletzt ist dies geschehen bei der Veröffentlichung des Paris-Paketes der EU Ende Februar, welches das strittige Thema nicht einmal erwähnt. Offensichtlich wiegt die Angst, völkerrechtliche Verpflichtungen zum Schadensausgleich einzugehen, die potentiell unabsehbar sind, zu schwer.  Verstärkt wird dies noch durch die Sorge, damit der Forderung etwa Boliviens nach einer Kompensation für die “historische Kohlenstoffschuld” der Industrieländer bzw. für die Kompensation von deren “Klimaschulden”, die das South Centre auf 600 Milliarden USD pro Jahr bis 2050 beziffert, neuen Auftrieb zu geben.

Jenseits aller Rhetorik sind Klimaschäden äußerst real: Extremereignisse haben zwischen 1980 und 2010 nach Erhebungen des Rückversicherers Munich Re 1 875 000 Menschenleben und Sachschäden in Höhe von 2.85 Billionen US-Dollar verursacht, wobei der Großteil auf klima- bzw. witterungsbedingte Extremereignisse entfällt. Noch dazu haben sich klimabedingte Schäden im Gegensatz zu anderen Schadensereignissen in den letzten drei Jahrzehnten vervierfacht und steigen weiter an. Die Erhebungen der Versicherungsindustrie decken sich mit den Befunden der Klimaforscher, die im 2012 erschienen Sonderbericht des Internationalen Klimarates IPCC zu Extremereignissen (SREX) urteilen, dass global sowohl die Häufigkeit als auch die Stärke von Extremwetterereignissen tendenziell zunimmt.

Hinzu treten schleichende Landverluste durch Küstenerosion und Meeresspiegelanstieg, die immer mehr Menschen zur Migration zwingen. Mit Vunidogoloa hat Fidschi im vergangenen Jahr die erste Gemeinde umgesiedelt, mindestens 42 weitere Siedlungen sollen folgen. In der autonomen Provinz Papua Neuguineas, Bougainville, sind mindestens 4000 Menschen auf den Carteret sowie Mortlock Islands massiv gefährdet und müssten dringend umgesiedelt werden. Und der Inselstaat Kiribati hat auf der zweitgrößten Insel Fidschis, Vanua Levu, unlängst beträchtliche Ländereien erstanden, um gegebenenfalls für eine große Umsiedlung gewappnet zu sein.

In keinem der genannten Fälle haben die betroffenen Staaten die internationale Gemeinschaft bislang um Unterstützung gebeten oder bereiten gar eine Klage vor einem internationalen Gericht vor. In allen Fällen wurden eigene Finanzmittel eingesetzt, sei es seitens der Staaten (Kiribati), der Betroffenen (PNG) oder in einer Mischform von beidem (Fidschi). Insofern ist der Vorbehalt vieler Industrieländer, “Loss & Damage” sei nur ein anderes Wort für zusätzliche Klimafinanzierung, empirisch nicht belegt. Auch der oft gehörte Einwand, die Erstattung von Klimaschäden könnte die Bereitschaft zur Anpassung mindern, erscheint haltlos: wer je mit Menschen gesprochen hat, die ihre Heimat und Erwerbsgrundlagen aufgrund von Klimaschäden aufgeben mussten, weiß, wie weit hergeholt diese Sorge ist. So wird Migration als das allerletzte Mittel überhaupt nur dann in Betracht gezogen, wenn zuvor wirklich alle Anpassungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind.

Arme Entwicklungsländer und kleine Inselstaaten sind mit der Bewältigung wachsender Klimaschäden überfordert. Sie benötigen internationale Unterstützung, um die Schäden soweit wie möglich zu minimieren (Klimariskoprävention und –reduktion) bzw. auszugleichen (Klimarisikotransfer). Dies gilt sowohl für Schäden an kritischer Infrastruktur (Schulen, Straßen, Brücken usw.) als auch für Schäden von Privathaushalten, die bei armen Familien rasch existenzbedrohend werden. Hier sind u.a. Versicherungslösungen, öffentliche Katastrophenfonds und Wiederaufbauhilfen geeignete Instrumente, die allerdings mehr Geld kosten, als die Betroffenen allein aufbringen könnten. Das rechtlich weithin verbreitete Verursacherprinzip ebenso wie das Solidarprinzip, das sowohl in der UN-Klimarahmenkonvention als auch in einschlägigen menschenrechtlichen und humanitären Konventionen verankert ist, sieht vor, dass die internationale Staatengemeinschaft betroffenen Staaten technische, politisch und finanzielle Unterstützung gewährt, sofern diese ihre eigenen Mittel ausgeschöpft haben, ihrer Bevölkerung in Notlagen sowie bei der Gewährleistung ihrer Grundrechte beizustehen. Insofern ist es hoch an der Zeit, die Mitverantwortung der Staatengemeinschaft bei der Bewältigung von “Loss & Damage” auch in den Klimaverhandlungen grundsätzlich anzuerkennen.

Das bedeutet indessen nicht zwingend, dass hierfür finanzielle Mittel aufgebracht werden müssen, die zusätzlich zur Klimafinanzierung fließen. Um in der Sache weiter zu kommen, wäre es sinnvoll, die Finanzierungsfrage zunächst von der Verantwortungsfrage zu entkoppeln. Wenn die Frage der Mitverantwortung der internationalen Staatengemeinschaft grundsätzlich geklärt ist und Mechanismen zur Risikobewältigung und –minimierung auf den Weg gebracht sind, sollten Finanzierungsfragen im zweiten Schritt konstruktiv gelöst werden können. Ob die erforderlichen Mittel dann tatsächlich zusätzlich zur allgemeinen Klimafinanzierung oder aber innerhalb derselben aufgebracht werden, wäre auszuhandeln. Aus meiner Sicht ist es durchaus vorstellbar, dass etwa Deutschland einen Teil seiner internationalen Klimafinanzierungsmittel für Klimarisikomanagement (inklusive Schadensausgleich) bereit hält – ähnlich wie dies schon heute für REDD+, Klimaschutz und Anpassung geschieht. Gerade im Bereich des Klimarisikotransfers sind Versicherungslösungen vorstellbar, bei denen öffentliche Mittel der Klimafinanzierung gezielt genutzt werden, um weitere private Mittel zu hebeln. Auch bei den im Gespräch befindlichen Klimarisikobonds, die im Katatastrophenfall Entwicklungsländern helfen können, handlungsfähig zu bleiben, sind solche Hebelwirkungen denkbar. Alternativ wäre allerdings auch vorstellbar, große Emittenten global mit einer Abgabe auf die Extraktion fossiler Rohstoffe zu belasten, die dann wiederum in einen Fonds fließen, um Klimaresilienz zu erhöhen bzw. Schäden auszugleichen. Einen interessanten Vorschlag hierzu hat etwa die Heinrich Böll Stiftung vorgelegt.

Klimarisikomanagement ist eine globale Gestaltungsaufgabe, der sich die Staatengemeinschaft nicht dauerhaft entziehen kann. Die Industrieländer sind moralisch und völkerrechtlich in der Pflicht, hierzu angemessen beizutragen. Es ist an der Zeit, im Rahmen der Klimafinanzierung geeignete Strategien zu entwickeln und erste Mittel für Pilotvorhaben bereit zu stellen. Deutschland sollte hierbei vorangehen, um klimapolitisch glaubwürdig zu bleiben. Die Entwicklungsländer werden dies zu würdigen wissen.

Thomas Hirsch, Climate & Development Advice