Loss & Damage
Die Finanzierung von klimawandelbedingten Schäden und Verlusten: Ein Blick auf Regelungssystem und Umsetzungsoptionen
Als die Staatengemeinschaft 2013 die Einrichtung des Internationalen Warschau-Mechanismus (WIM) für den Umgang mit Schäden und Verlusten durch den Klimawandel (Loss and Damage) beschlossen, einigte man sich, diesem Mechanismus drei Aufgaben zu erteilen: a) den Aufbau von Wissen, b) die Stärkung von Dialog und Koordination sowie c) die Förderung von Maßnahmen und Hilfen, einschließlich Finanzhilfen bei Schäden und Verlusten durch den Klimawandel. Dieses dritte Element des Mandats wurde bisher sträflich vernachlässigt. Es wurde so gut wie gar nicht daran gearbeitet, wie die Hilfen bei Schäden und Verlusten durch den Klimawandel zu finanzieren sind, inwieweit sie sich diese Finanzierung mit anderen Finanzflüssen im Rahmen der Klimafinanzierung überschneidet und wie die Loss-and-Damage-Finanzierung in die betroffenen Länder kanalisiert werden sollte. Wir sind der Lösung dieser Fragen seit 2013 keinen Schritt nähergekommen und die schutzbedürftigen Menschen und Länder haben immer noch keinerlei Hilfen bei Schäden und Verlusten erhalten.
Die Heinrich-Böll-Stiftung hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, in der einige Punkte im Zusammenhang mit klimawandelbedingen Schäden und Verlusten untersucht wurden, die dringend anzugehen sind.
Finanzierungskriterien für klimawandelbedingte Schäden und Verluste
In Bezug auf die Umsetzung überschneidet sich Loss and Damage mit den Themenfeldern Anpassung an Klimafolgen, humanitäre Katastrophen- und Aufbauhilfe, Verringerung des Katastrophenrisikos, klimawandelbedingte Migrationsprogramme und anderen mehr. Wichtig ist, dass Strategien und Programme zu Loss and Damage so wirkungsvoll wie nur möglich für die Menschen in den gefährdeten Gebieten sind. Um Doppelung und unnötige Komplikationen zu vermeiden, braucht es in diesen verschiedenen Bereichen eine politische und institutionelle Koordinierung.
Was die Finanzierung von Loss-and-Damage-Maßnahmen angeht, zeigt die Erfahrung aus der Anpassungsfinanzierung, dass es sinnvoll wäre zu klären, was genau mit Schäden und Verlusten gemeint ist. Eine Überprüfung der bestehenden Arbeitsdefinitionen von Loss and Damage und eine Reihe erklärender Beispiele veranschaulichen, wodurch sich Loss and Damage von Anpassung, Verringerung des Katastrophenrisikos, Katastrophenhilfe und Entwicklung unterscheidet. Eine Abgrenzung von Loss and Damage könnte anhand eines Kriterienkatalogs bzw. folgender Leitfragen erfolgen:
- Wurden die Schäden wahrscheinlich vom Klimawandel verursacht oder durch ihn verschlimmert?
- Müssen aufgrund der Schäden wesentliche Änderungen bei den traditionellen oder gegebenen Existenzgrundlagen vorgenommen werden, die über eine Anpassung hinausgehen und Handlungen in einer ganz anderen Größenordnung erforderlich machen?
- Geht es um den Verlust von etwas, das die Bevölkerungsgruppe wertschätzt und auf das sie angewiesen ist?
Zusammen mit einer konkreten, aber nicht erschöpfenden Positivliste (siehe Kasten), die mit der Zeit vervollständigt werden könnte, ist dies ein erster Schritt. Das Klimaabkommen von Paris enthält eine erste Positivliste, die in der Studie erörtert und erweitert wird. Positivbeispiele sind:
- Frühwarnsysteme,
- Katastrophenvorsorge,
- Schleichende Umweltveränderungen,
- Ereignisse, die mit irreversiblen und permanenten Schäden und Verlusten einhergehen,
- Umfassende Beurteilung und Management der Risiken,
- Risikoversicherungen, Risikopooling und andere Versicherungslösungen,
- Nicht-wirtschaftliche Schäden sowie
- Widerstandsfähigkeit von Gemeinschaften, Existenzgrundlagen und Ökosystemen.
Es sollte möglich sein, dass bei einer Maßnahme, die den Kriterien von Loss and Damage entspricht, ein Teil als Projekt in diesem Bereich anerkannt wird, ein anderer Teil der Maßnahme aber auch anderen Themenfeldern (wie Anpassung) zugeordnet werden kann. Die Entscheidung, ob eine Loss-and-Damage-Finanzierung gerechtfertigt ist, sollte von dem jeweiligen Land gefällt werden. Zusäzlich sollte es durch ein Gremium bewertet werden, das vom Warschauer Mechanismus autorisiert wurde.
Die Loss-and-Damage-Finanzierung muss erhöht werden
Es ist überaus deutlich, dass gegenwärtig so wenig Mittel zur Verfügung stehen, dass man im Grunde nicht einmal ansatzweise über eine Finanzierung von Schäden und Verlusten nachdenken kann, denn auch die Finanzierung für Klimaschutz- und Anpassung, Entwicklungszusammenarbeit, Risikoverringerung und Katastrophenhilfe bleibt weit hinter dem zurück, was notwendig ist. Einige anschauliche Beispiele verdeutlichen das Ausmaß, in dem Loss-and-Damage-Finanzierung nötig sein könnte:
- Schäden durch Super-Taifune: Im November 2013 verwüstete der Taifun Haiyan (bzw. Yolanda, wie er vor Ort genannt wurde) die Region Tacloban auf den Philippinen. Die Internationale Datenbank für Katastrophenereignisse (EM-DAT) schätzte den Schaden durch den Taifun Haiyan auf 10 Mrd. USD.
- Durch steigende Meeresspiegel und Landverluste erzwungene Umsiedlungen: Die 6.000 Bewohner der zu Papua-Neuguinea gehörenden Cartaret-Inseln erleben, dass ihre Heimat immer unbewohnbarer wird. Der steigende Meeresspiegel hat Landverluste zur Folge, und die Salzwasserüberschwemmungen führen zu Ernährungsunsicherheit, weil die traditionellen Nahrungsmittel nicht mehr angebaut werden können. Schätzungen zufolge werden zwischen 2009 und 2019 für die Sicherung des Grundbedarfs und die Umsiedlung der Menschen 5,3 Mio. USD benötigt – 6.500 USD pro Familie für Land und neue Häuser.
- Schäden und Verluste durch zunehmende Dürren: Der Klimawandel stellt eine permanente ernste Bedrohung für Kenias Wirtschaft dar. Bereits heute ist ein jährlicher Schaden von etwa 0,5 Mrd. USD zu verzeichnen, was 2% des BIP entspricht. Zwischen 2008 und 2011 litt das Horn von Afrika unter der schwersten Dürre in 60 Jahren. Auf ihrem Höhenpunkt waren 13,3 Mio. Menschen von Lebensmittelknappheit betroffen und viele Menschen starben. Die Regierung von Kenia schätzte die Schäden in den vier Dürrejahren auf insgesamt 12,1 Mrd. USD.
Auch wenn im Namen der „Solidarität“ sehr viel mehr getan werden sollte, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Industrieländer ihre Finanzhilfen erhöhen und ihren Verpflichtungen unter der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und den darin vereinbarten langfristigen Finanzierungszielen nachkommen, ganz zu schweigen davon, dass sie all die zusätzlich benötigten Mittel für die Kompensation von Schäden und Verlusten bereitstellen werden. Deshalb – und nicht zuletzt auch, um Abrechnungen zu vereinfachen und eine Zusätzlichkeit zu den gegenwärtigen Finanzflüssen sicherzustellen – muss die internationale Finanzierung von klimawandelbedingten Schäden und Verlusten über neue Finanzierungsquellen generiert werden und nicht aus der offiziellen Entwicklungshilfe und den üblichen Staatstöpfen kommen. Eine innovative Finanzierung (in Form einer Kohlenstoffsteuer, einer Abgabe auf den Flugverkehr, einer Finanztransaktionssteuer usw.) kann, wenn sie gut umgesetzt wird, angemessen und planbar einen Großteil der Finanzierungslücke für klimawandelbedingte Schäden und Verluste schließen. Neue Finanzierungsquellen sollten bis 2030 eine Aufstockung der Finanzierung um 200 bis 300 Mrd. USD jährlich erreichen können.
Die Nutzung und Erweiterung bestehender Klimafonds statt der Einrichtung neuer Fonds
Bei der Erwägung verschiedener Optionen für einen möglichen internationalen Finanzierungsmechanismus für klimawandelbedingte Schäden und Verluste sollte die Diskussion von dem Grundsatz geprägt sein, dass es sich bei der Bereitstellung von Geldern für Loss and Damage nicht um „Wohltätigkeit“, sondern um „Klimagerechtigkeit“ handelt. Daher sollte ein Fonds unter der UNFCCC in Betracht gezogen werden, der sowohl der UNFCCC als auch dem Pariser Klimaabkommen dient.
Auch wenn es denkbar ist, dass die UNFCCC die Einrichtung eines neuen Loss-and-Damage-Fonds unter ihrem Dach beschließen könnte, zeigt doch die Erfahrung mit dem Green Climate Fund (GCF), der fünf Jahre bis zur ersten Finanzierungsentscheidung brauchte, dass der Weg zu einem neuen globalen Klimafonds langwierig und komplex ist. Die Alternative wäre, die komparativen Vorteile der schon bestehenden UNFCCC-Klimafonds, insbesondere der Globalen Umweltfazilität und des GCF, und deren Möglichkeiten zu durchdenken, die internationale Finanzierung für Loss and Damage zu organisieren.
In beiden Fonds besteht die Möglichkeit, für die Mittel, die zur Loss-and-Damage-Finanzierung vorgesehen sind, einen separaten Treuhandfonds einzurichten, in dem die Zuwendungen und Auszahlungen für Schäden und Verluste klar von anderen Klimafinanzierungsströmen abgegrenzt werden. Es bestehen allerdings erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Fonds, wobei der GCF derzeit als der geeignetere Fonds für diese Aufgabe erscheint, denn schon in seinen Gründungsstatuten ist das Mandat enthalten, sich um finanzielle Zuwendungen aus alternativen Quellen zu bemühen. Das GCF-Direktorium könnte die Frage der alternativen Finanzierungsquellen ganz oben auf die Tagesordnung setzen. Das könnte noch rechtzeitig für die erste offizielle Wiederauffüllung ab 2018 erfolgen, wenn der gegenwärtige Zeitraum der ersten Rund der finanziellen Zusagen der Geberländer abgelaufen ist.
Loss-and-Damage-Finanzierung muss die Klimafinanzierung ergänzen
Auch wenn die Studie noch nicht das letzte Wort in einer ganzen Reihe von Fragen im Zusammenhang mit der internationalen Finanzierung von Loss-and-Damage sein kann, skizziert sie doch einige konkrete Schritte für die nächsten beiden Jahre. Es sind weitere Analysen und Erörterungen nötig, weshalb weitere Beiträge und Kommentare sehr zu begrüßen wären. Um die verlorene Zeit aufzuholen, sollten die Verhandlungen unter dem Warschau-Mechanismus in den nächsten beiden Jahren der Finanzierung höchste Priorität einräumen und, zusammen mit dem Ständigen Finanzausschuss (Standing Committee on Finance, SCF), sicherstellen, dass 2018, wenn das Pariser Klimaabkommen in Kraft tritt, klar ist, wie die Loss-and-Damage-Finanzierung bereitgestellt wird und wie hoch die zur Verfügung stehenden Mittel sein werden.
Abschließend sei gesagt, dass technische Diskussionen und die Entwicklung von Kriterien und Methoden zwar von großer Bedeutung sind, aber die Finanzierung von Schäden und Verlusten letztlich doch eine hochpolitische und zutiefst moralische Frage ist. Für diesen Prozess braucht es politische Führung. Es ist dringend nötig, dass sich Regierungen und Staatsoberhäupter für die Schließung dieser Finanzierungslücke einsetzen. Sie müssen auch begreifen, dass wir vor der Wahl stehen. Wir können starke Maßnahmen für eine Emissionsreduzierung ergreifen, um klimawandelbedingte Schäden und Verluste zu minimieren, Anpassungsstrategien angemessen finanzieren, was ebenso die Schäden und Verluste durch den Klimawandel mindern würde. Aber wir müssen auch die Mittel bereitstellen, um die Folgen des Klimawandels abzufedern, die immer noch auf die ärmsten und besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen zukommen. Oder wir können die notwendigen Schritte immer weiter aufschieben und die Probleme verschleiern, was nicht nur die Kosten für Schäden und Verluste in die Höhe treibt, sondern auch unermessliches Leid verursachen und eine Welt schaffen wird, der es mehr und mehr an Stabilität und Nachhaltigkeit mangelt und in der Armut und Ungleichheit immer weiter um sich greifen.
Julie-Anne Richards, Consultant, und Liane Schalatek, Heinrich-Böll-Stiftung Nordamerika