100 Milliarden / Internationale Klimafinanzierung / Zusagen

Jetzt gilt’s: 100-Milliarden-Fahrplan der Industrieländer

Seit die Industrieländer auf dem Kopenhagener Klimagipfel versprachen, die Klimafinanzierung bis 2020 auf 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr zu steigern, fordern die Entwicklungsländer einen belastbaren Fahrplan, wie das Versprechen erfüllt werden soll. Ebenfalls seit 2009 haben sich die Industrieländer geweigert, genau das zu tun.

Das ist jetzt anders. Das Beschlusspaket der Pariser Weltklimakonferenz enthält neben dem neuen Abkommen, eine Reihe von Beschlüssen – und einer davon fordert (im Absatz 114) die Industrieländer ganz konkret dazu auf, einen Finanzierungsfahrplan bis 2020 vorzulegen und dabei gleichzeitig die Unterstützung für die Anpassung an die negativen Veränderungen infolge des Klimawandels deutlich zu erhöhen.

Klimafinanzierung bis 2020

Der linke Balken zeigt das Niveau der Klimafinanzierung nach Zählweise der OECD für 2014 und für 2020 (Projektion von Oxfam auf Basis von Ankündigungen einiger Geberländer bzw. der multilateralen Entwicklungsbanken). Die rechte Spalte zeigt Oxfams Schätzung zur klimaspezifischen „Netto“-Unterstützung für Anpassung, die mittlere Spalte dasselbe für Anpassung und Minderung zusammen. Quelle: Oxfam 2016.

 

Wie es scheint, haben die Industrieländer (endlich!) den Ruf gehört – und damit begonnen, sich darauf zu verständigen, wie ein solcher Fahrplan aussehen könnte. Dazu haben sie inzwischen auch schon bei den Entwicklungsländern vorsichtig vorgefühlt hinsichtlich deren Vorstellungen, am Rande der alljährlichen UN-Zwischenverhandlungen in Bonn im Mai, die die nächste UN-Weltklimakonferenz Ende des Jahres in Marrakesch (COP22) vorbereitet.

Hier sind einige Ideen zu diesem Fahrplan von unserer Seite:

Verfahren: Der Fahrplan darf den Entwicklungsländern nicht als Überraschungsei zur COP22 präsentiert werden. Vielmehr sollten in regelmäßigen Abständen die Entwicklungsländer konsultiert werden und ein gegenseitiger Austausch zu den Entwürfen für den Fahrplan stattfinden. Im Idealfall würde der Fahrplan auf der pre-COP (ein Ministertreffen wenige Wochen vor der eigentlichen Konferenz) vorgestellt. Dann könnte er eine gute Diskussionsgrundlage für die für Marrakesch geplante Ministerrunde zum Thema Klimafinanzierung herhalten und so konkrete Beschlüsse erleichtern für die Zukunft der Klimafinanzierung.

Zweck: Der Zweck des Fahrplans ist natürlich in erster Linie zu zeigen, dass und wie die Industrieländer ihr 100-Milliarden-Versprechen zu erfüllen gedenken. Oder: Was zwischen heute und 2020 geschehen soll. Der Fahrplan wäre damit auch eine Richtungsvorgabe für die Industrieländer zur Planung ihrer jeweiligen Klimafinanzierungsbudgets in den kommenden Jahren. Die wichtigste Rolle des Fahrplans könnte es aber werden, als Brücke zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern zu dienen, um das gegenseitige Vertrauen zu stärken, aber auch um Maßnahmen festzulegen, um bestehende Barrieren, etwa bei der Bereitstellung und Verwendung der Mittel für effektiven Klimaschutz und wirksame Anpassungsmaßnahmen zu beseitigen.

Szenarien: Damit der Fahrplan ausreichend Aussagekraft hat, sollte er Szenarien aufzeichnen für die Vielzahl an Instrumente und Kanäle der Klimafinanzierung, derer sich die Industrieländer zur Erfüllung ihres Versprechens bedienen werden. Diese Szenarien sollten sowohl qualitative Aspekte (z.B. zu Erfahrungen mit einzelnen Instrumenten bisher und diesbezügliche Pläne für die Zukunft) also auch quantitative Aspekte (Höhe der Mittel in einzelnen Instrumenten und Kanälen) enthalten. Zudem sollte der Fahrplan auch die Barrieren aufzeigen, die die erfolgreiche Umsetzung des Versprechens behindern, und dazu Maßnahmen vorschlagen, ebenjene Barrieren zu überwinden bzw. aus dem Weg zu schaffen. Die Szenarien sollten über Pläne Auskunft geben hinsichtlich der Nutzung bestehender multilateraler Klimafonds wie den Green Climate Fund oder den Least Developed Countries Fund, außerdem zur Rolle der multilateralen Entwicklungsbanken, der bilateralen, klimarelevanten Entwicklungszusammenarbeit, außerdem künftige Maßnahmen enthalten, um den direkten Zugang zu Finanzmitteln sowie den Kapazitätsaufbau in den Empfängerländern zu verbessern. Schließlich sollten die Szenarien auch die Chancen, Grenzen und Perspektiven für die verschiedenen Finanzierungsinstrumente, also etwa Zuschüsse, zinsvergünstigte Darlehen oder andere innovative Instrumente, untersuchen.

Anpassung: Nach wie vor wird deutlich zu wenig Unterstützung für die Anpassung an den Klimawandel bereitgestellt. Der Fahrplan sollte daher eine ehrgeizige Projektion enthalten, wie die Mittel für Anpassung in den kommenden Jahren wachsen werden und welches Niveau sie bis 2020 erreichen sollen (im Rahmen des 100-Milliarden-Versprechens). Das würde ein Vertrauen förderndes Signal aussenden, dass in Zukunft die Vernachlässigung des Bereichs Anpassung angegangen wird. Solch ein Ziel könnte als absoluter Betrag ausgedrückt werden (z.B. 35 Mrd. US-Dollar pro Jahr im Jahr 2020), oder aber als relative Anteil der Klimafinanzierung (z.B. 50 Prozent der öffentlichen Mittel). Das Ziel wäre zudem auszustatten mit einer Reihe Maßnahmen, um es in die Tat umzusetzen, vor allem zum Kapazitätsaufbau in den ärmsten und besonders verwundbaren Ländern, um es diesen Ländern noch mehr zu ermöglichen, ihre spezifischen Risiken und Anpassungsanforderungen besser zu erforschen und maßgeschneiderte Programme etwa in den Bereichen Ernährungssicherheit, Wasserversorgung oder Katastrophenvorsorge aufzusetzen.

Mobilisierte private Mittel: Der Fahrplan wird sich auch damit auseinandersetzen müssen, wie es mit den mobilisierten privaten Mitteln weitergehen soll, also privaten Investitionen, die die Industrieländer durch den Einsatz öffentlicher Unterstützung mobilisieren wollen.  Die Steigerung von privaten Investitionen in den Klimaschutz ist unverzichtbar für die Transformation der Volkswirtschaften und die klimafreundliche Entwicklung der armen Länder. Gleichwohl darf dies nicht davon ablenken, dass auch die öffentlichen Mittel weiter anwachsen müssen. Der Fahrplan sollte sicherstellen, dass das Verhältnis zwischen öffentlichen (ein Drittel) und mobilisierten privaten Mitteln (zwei Drittel) im Rahmen des 100-Milliarden-Versprechens auf dem gegenwärtigen Stand verharrt oder sich zugunsten der öffentlichen Mittel verlagert, von denen ein Teil ja auch zur Hebelung weiterer privater Mittel verwendet werden kann. Eine Schlüsselfrage ist übrigens auch die Zuordnung solch mobilisierter Mittel. Zum Beispiel bedeuten hohe Hebelfaktoren, wenn also mit wenig öffentlichem Geld viel privates Geld mobilisiert wird, dass die resultierenden Investitionen großenteils wegen anderer Faktoren zustande kommen und der Einsatz öffentlicher Gelder womöglich nur den Ausschlag geben konnte. Das würde bedeuten, dass die Industrieländer sich nur einen kleineren Teil der erzeugten Investitionen auf ihr Konto gutschreiben könnten; der Rest wäre den Entwicklungsländern selbst zuzuordnen. Ganz generell könnte dieser Teil des Fahrplans ein Bild davon zeichnen, wie den Entwicklungsländern möglichst effektiv geholfen werden kann, ihre Wirtschaft umzubauen, mit speziellem Fokus auf die Investitionen der kleinst-, klein- und mittelständischen Unternehmen im eigenen Land und nicht die großer, multinationaler Investoren, für die die gesellschaftliche Entwicklung eines Landes zu mehr Nachhaltigkeit kein treibendes Anliegen ist.

Integrität: Die Industrieländer sollten die Gelegenheit des Fahrplans auch dazu nutzen darzustellen, wie die bereitgestellten und mobilisierten Finanzmittel auch tatsächlich im Einklang stehen mit dem Bemühen, die Erhöhung der mittleren Temperatur auf unter 1,5°C zu begrenzen, wie es das Pariser Klimaschutzabkommen vorsieht. Hier gilt es insbesondere zu verhindern, dass finanzierte Maßnahmen mit nur mäßigem Klimaschutz-Ehrgeiz hohe Emissionen auf Jahrzehnte festschreiben. Insbesondere “clean coal”-Projekte haben bei der Klimafinanzierung nichts zu suchen, und ihre Unterstützung verzögert und behindert die letztlich unausweichliche vollständige Abkehr von den fossilen Energien. Im Bereich Anpassung an die klimatischen Veränderungen sollten die Mittel prioritär für die ärmsten und verwundbarsten Länder und Bevölkerungsgruppen eingesetzt werden. Auch die Qualität der Maßnahmen muss erhöht werden – mit dem knappen Geld sollten insbesondere solche Projekte gefördert werden, die gezielt die Widerstandsfähigkeit von Menschen und Menschengruppen gegen die Klimawandelrisiken erhöhen.

Die nächsten Monate werden zeigen, wie ernsthaft die Industrieländer der Aufforderung nachkommen werden, diesen Fahrplan zu entwickeln. Dabei muss dringend vermieden werden, dass der Fahrplan nur eine Show-Veranstaltung wird. Stattdessen sollte der Fahrplan ehrlich den aktuellen Stand der Klimafinanzierung, die bisher gemachten Erfahrungen und vorgefundenen Barrieren aufzeigen und darauf aufbauend die Pläne bis 2020 skizzieren. Wenn das geschieht, kann der Fahrplan erheblich zum Erfolg der kommenden UN-Weltklimakonferenz beitragen und helfen, die Aufbruchsstimmung seit Paris weiter wachzuhalten.

Jan Kowalzig, Oxfam