100 Milliarden / Internationale Klimafinanzierung

Corona-Pandemie: Warum die Klimafinanzierung ganz oben auf der Tagesordnung des Petersberger Klimadialogs stehen muss

Die Rohingya-Flüchtlingsfrau Ayesha beim Wasserholen für ihre Familie in der Stadt Cox’s Bazar in Bangladesch. Arme und ausgegrenzte Menschen stehen sowohl von der Corona- als auch der Klimakrise am härtesten betroffen. Foto: Maruf Hasan/Oxfam

Der nächste Woche (am 27./28. April) stattfindende Petersberger Klimadialog sollte die Zusammenhänge zwischen der Corona-Pandemie und der Klimakrise anerkennen. Die Klimafinanzierung und die Anhebung des 100-Mrd.-Dollar-Ziels der reichen Länder muss ein Hauptpunkt der Debatte sein.

Die Corona-Pandemie ist eine wahrhaft globalisierte Krise, die sowohl reiche als auch arme Länder erfasst – allerdings werden die Auswirkungen nicht überall gleichermaßen spürbar. Die Krise wird die Entwicklungsländer am härtesten treffen – die dortigen ohnehin schon labilen Gesundheitssysteme könnten völlig überfordert werden. Ohne einschneidende Maßnahmen zur Unterstützung besonders gefährdeter Volkswirtschaften wird möglicherweise eine halbe Milliarde Menschen zurück in die Armut gedrängt. In manchen Regionen könnte die Armut wieder Ausmaße wie vor 30 Jahren annehmen. Meine Kollegin Julie Seghers schreibt, dass eine schnelle Erhöhung der Hilfen aus reichen Ländern Millionen von Menschenleben retten könnte, wobei sich diese Hilfe zunächst auf Prävention, Gesundheit, sozialen Schutz und Nahrungsmittelversorgung konzentrieren und sich erst später mit einer Neugestaltung der Hilfen für gleichberechtigtere und widerstandsfähigere Gesellschaften befassen sollte.

Der einzig mögliche Neustart der Wirtschaft ist ein grüner Neustart

Und hier kommt der Petersberger Klimadialog ins Spiel. Auf dem jährlichen Treffen von rund 40 Ministern und Ministerinnen aus aller Welt werden in der Regel politische Fragen rund um die internationalen Klimaschutzregelungen und die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens diskutiert. Dieses Mal findet das Treffen per Videokonferenz statt. Die wichtigsten Tagesordnungspunkte sind zum einen die Anhebung der Klimaschutzzusagen der Länder (der „national festgelegten Beiträge“ bzw. NDCs im UN-Jargon), die dem Pariser Abkommen gemäß alle fünf Jahre erhöht werden müssen, und zum anderen eine Diskussion auf Ministerebene, wie die Erholung der Wirtschaft nach der Corona-Krise mit dem Kampf gegen die Klimakrise verknüpft werden kann.

Sowohl die Anhebung der NDCs als auch eine klimaverträgliche Ankurbelung der Wirtschaft nach Corona sind dringend vonnöten. Vieles deutet darauf hin, dass die von den Regierungen unter dem Pariser Abkommen vereinbarten gemeinsamen Anstrengungen auf eine Erderwärmung von 3°C oder mehr hinauslaufen. Um das Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen, die Erderwärmung unter der kritischen Schwelle von 1,5°C zu halten, müssen diese Anstrengungen um das Fünffache gesteigert werden. Wenn bei den Ankurbelungskonzepten Fehler gemacht werden – wie beispielsweise durch kurzsichtige Konjunkturprogramme, die den Wünschen der deutschen Autoindustrie folgen – wird sich die Erderwärmung auf die katastrophalen 3°C verfestigen. Aber es geht auch anders. Die anstehenden Programme zur Wiederbelebung der Wirtschaft und die Konjunkturpakete könnten so ausgerichtet werden, dass sie für eine Verbesserung nach dem Wiederaufbau („building back better“) sorgen und den Volkswirtschaften zu einem klimaverträglichen Neustart verhelfen. Damit würden sie die Welt auf den Kurs zur Emissionsfreiheit bringen und zu einer klimawandelresistenten Entwicklung führen. Es ist eine einmalige Chance. Dass Regierungen so gewaltige Summen in die Hand nehmen, wird wohl im nächsten Jahrzehnt kaum noch einmal passieren. Der UN-Generalsekretär António Guterres drückte es so aus: „Die finanzielle Schlagkraft muss den Wandel von einer grauen zu einer grünen Wirtschaft antreiben sowie Gesellschaften und Menschen widerstandsfähiger machen. Die öffentlichen Gelder sollten in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit investiert werden.“

Die Klimafinanzierung als zentrale Säule für den Klimaschutz in der Corona-Krise

Die Klimafinanzierung hat Einfluss auf all das. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer zwangsläufig lähmen, was ihre Gesellschaften noch verwundbarer gegenüber der sich verschärfenden Klimakrise macht (die Verwüstungen durch Zyklon Harold in Vanuatu sind ein Paradebeispiel dafür) und ihre Möglichkeiten zur Abkehr von fossilen Brennstoffen verringert. Das Ministertreffen beim Petersberger Klimadialog täte gut daran, diese Zusammenhänge anzuerkennen. Das ist jetzt nötiger als je zuvor. Die zur Förderung der Anpassung an die sich verschlimmernden Auswirkungen des Klimawandels investierte Klimafinanzierung kann sich jetzt doppelt auszahlen. Die Gründe, die diese Menschen besonders verwundbar gegenüber den immer schlimmer werdenden Folgen der Klimakrise macht, sind weitgehend dieselben, die sie gegenüber anderen Krisen, einschließlich der Corona-Pandemie, schutzlos machen. Was Menschen widerstandsfähiger gegenüber allen Arten von Krisen, einschließlich der Klima- und der Corona-Krise macht, sind stabile Einkommen und sichere Lebensgrundlagen trotz des Klimawandels, soziale Sicherheitsnetze zur Bewältigung der klimabedingten Risiken, Programme zur Erhöhung der Ernährungs- und Wassersicherheit sowie die Beseitigung politischer, kultureller und sozialer Ausgrenzung.

Für den Wirtschaftsaufschwung nach Corona sollten die Minister und Ministerinnen beim Petersberger Klimadialog eine gemeinsame Vision entwickeln, wie die wirtschaftlichen Konjunkturpakete in Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaschutzabkommen geschnürt werden können. Gleichzeitig muss klar sein, dass viele der unter weitverbreiteter Armut und schweren Schuldenlasten leidenden Entwicklungsländer nicht annähernd Mittel in der Größenordnung der reichen Länder ausgeben können. Das brachte auch der Finanzminister Ghanas kürzlich zum Ausdruck. Deshalb muss eine zentrale Säule dieser Vision eine Erhöhung der Klimafinanzierung sein, damit ärmere Länder sich den Bemühungen anschließen können, in ihren Gesellschaften eine Zukunft mit erneuerbaren Energien aufzubauen, wenn sie sich von der Corona-Pandemie erholen. Eine ausreichende Klimafinanzierung durch die reichen Länder wird nicht nur einen grundlegenderen und nachhaltigeren Aufschwung ermöglichen, sondern auch die Fähigkeit der armen Länder stärken, ihre NDCs und die darin enthaltenen Ziele der Emissionsminderungen zu erfüllen und zu erhöhen.

All das sollte Ansporn für die reichen Länder sein, den Petersberger Klimadialog zu nutzen, um einerseits das vor über einem Jahrzehnt gemachte Versprechen zu bekräftigen, die Klimafinanzierung dieses Jahr auf die vereinbarte Höhe von jährlich 100 Mrd. USD aufzustocken (eine geringfügige Summe im Vergleich zu den Billionen, die von den Regierungen der G20-Volkswirtschaften innerhalb weniger Tage zur Bewältigung der Auswirkungen der Corona-Pandemie mobilisiert wurden), und dies mit der Verpflichtung zu unterfüttern, ihre irgendwie veraltete Zielmarke für 2020 zu aktualisieren und dabei zu erklären, wie sie das Ziel erreichen werden. Zum anderen sollten sie die Gelegenheit nutzen, eine beträchtliche Erhöhung der Klimafinanzierung für den Zeitraum von 2020 bis 2025 zuzusichern, insbesondere für Maßnahmen zur Erhöhung der Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit (wobei natürlich gilt: diese Gelder sind neben den dringend benötigten zusätzlichen Hilfen zur Bewältigung der unmittelbaren, durch die Corona-Pandemie in den Entwicklungsländern entstehenden Notsituation breitzustellen).

Deutschland, das zusammen mit Großbritannien Gastgeber des Petersberger Klimadialogs ist, sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn Angela Merkel nächsten Dienstag ans Rednerpult tritt, könnte sie vielleicht erklären, ob und wie Deutschland darauf hinwirken wird, den ungenügenden NDC der EU zu erhöhen und die geplanten Konjunkturpakete für die Wirtschaft dazu zu nutzen, in Richtung Klimaneutralität umzusteuern. Die Kanzlerin sollte auch dem Beispiel Großbritanniens folgen und deutlich sagen, wie die deutsche Klimafinanzierung zwischen heute und 2025 aufgestockt wird.

Das Geld ist da. Erst gestern ersuchte der deutsche Entwicklungsminister den Bundestag um drei Mrd. Euro an zusätzlichen Notfallhilfen für die Corona-Bekämpfung allein im Jahr 2020 – zusätzlich zu den bereits bewilligten Haushaltsmitteln (von denen er eine weitere Mrd. Euro für den Kampf gegen Corona umwidmen will). Jetzt ist es an der deutschen Regierung, die globale Klimakrise mit ähnlichem Elan anzugehen und sich zu einer beträchtlichen Erhöhung der klimabezogenen Unterstützung für besonders gefährdete Länder zu verpflichten. Das wäre ein erstes großartiges Signal, dass die Klimafinanzierung nach 2020 nicht abstürzen wird, sondern dass die Welt vielleicht wirklich widerstandsfähiger aus der Corona-Krise hervorgehen wird und dann besser darauf vorbereitet ist, die heute und zukünftig vor uns liegenden Herausforderungen der Klimakrise zu bewältigen.

Jan Kowalzig, Oxfam